Sommer wie Winter : Roman

Taschler, Judith W., 2013
Bücherei Zams
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Medienart Buch
ISBN 978-3-442-47833-0
Verfasser Taschler, Judith W. Wikipedia
Systematik DR.E - Romane, erzählende Gegenwartsliteratur
Schlagworte Belletristische Darstellung, Tirol, Erzählende Literatur: Gegenwartsliteratur ab 1945, Vergangenheitsbewältigung, Pflegekind, Verlassenheit
Verlag Goldmann
Ort München
Jahr 2013
Umfang 188 S.
Altersbeschränkung keine
Auflage Taschenbuchausg., 1. Aufl.
Band 47833
Sprache deutsch
Verfasserangabe Judith W. Taschler
Annotation Die trügerische Idylle eines kleinen Dorfes, der Schutz einer scheinbar liebenden Familie – und ein dunkles Geheimnis ...


In einem Krankenhaus in der österreichischen Provinz wird eine Familie behandelt, fünf Menschen, zwei von ihnen schwer verletzt. Sie alle sollen einem Therapeuten ihre Geschichte erzählen: die Mutter, ihre drei Töchter und vor allem Alexander, der Pflegesohn. In einem kleinen Dorf - Sölden - hatten sie einen Hof mit einer Pension für deutsche Touristen, die sie beneideten um ihr naturverbundenes Leben. Doch unter der scheinbaren Idylle brodelt es. Zorn, Neid und Eifersucht herrschen, auch wenn niemand darüber spricht. Bis es zu spät ist – und etwas Schreckliches passiert ...


Quelle: bn.bibliotheksnachrichten, Angela Zemanek-Hackl
Manu und Alexander haben einen schweren Autounfall. In den Gesprächen danach erschließen sich ihre Lebensumstände. (DR)

Alexander wird von einer angesehenen Hoteliersfamilie in Sölden als Pflegekind aufgenommen. Er scheint es gut getroffen zu haben. Die Familie ist nett und recht erfolgreich. Sie baut sich gemeinsam eine Pension und ein Fünf-Sterne-Hotel auf. Und die Kinder helfen mit, diese Idylle zu erhalten. Alexander ist einerseits der erhoffte Sohn nach den drei Mädchen, andererseits wird er oft hart hergenommen für die Arbeit im Stall, auf der Alm und im Hotel. Er möchte gern eine weiterführende Schule besuchen, denn er ist ein begabter Schüler. Doch die Familie braucht Unterstützung bei der Arbeit. Alexander ist ein ruhiger Bub und fügt sich. Und doch versucht er, in die Fantasie zu entfliehen. Beinahe erwachsen, macht er sich auf die Suche nach seiner Mutter. Wie es unter der schönen Fassade brodelt und gärt, kommt erst in den Gesprächen nach dem schweren Unfall Schritt für Schritt zutage. Alle erzählen sie vom Alltag, von der Schule und der Arbeit, von den gemeinsamen Weihnachtsfeiern mit ihren Hausgästen und anderem mehr.

Die Brüche im Leben der Protagonisten sind erschreckend. Es sieht alles so harmlos und angenehm aus. Das Buch ist hinreißend, authentisch und tragisch. Es lässt erahnen, wie Menschen in ihren Lebensrollen leiden, und doch können sie dem Druck, der auf ihnen lastet, nicht entfliehen. Ein fantastisches Buch, einfühlsam, eindringlich und kaum aus der Hand zu legen! Für alle Bibliotheken ein Gewinn!


Quelle: Forschungsinstitut Brenner-Archiv
Eine unglückliche Tiroler katholische Kindheit

Judith Taschler ist mit "Sommer wie Winter" ein spannender kleiner Roman gelungen. Das Kleine bezieht sich auf zwei Aspekte: auf Satz und Buchformat einerseits, und andererseits darauf, dass der Roman weniger traditionelle Erwachsenen- als Jugend-Literatur ist. Eine solche Klassifizierung ist keinesfalls ein ästhetischer Abstrich. Autoren wie Mats Wahl oder Andreas Steinhöfel sind schließlich hoch geschätzte Zeitgenossen. Steinhöfels Coming-of-Age-Saga "Die Mitte der Welt" (1998) schaffte es, wenn ich mich recht entsinne, nach Erstpublikation bei Carlsen ins Literaturprogramm des Suhrkamp-Verlags; umgekehrt kam Peter Schwaigers Adoleszenz-Roman "Vito" (1999) als Erwachsenen-Literatur auf den Markt, während die dtv-Ausgabe sich eindeutig an jugendliche Leser wandte. Es gibt also Werke, welche die Demarkationslinie zwischen erwachsen und jugendlich überschreiten, und "Sommer wie Winter" ist eines davon.

Wie Schwaiger übrigens deckt Taschler ihre Geschichte eines Verbrechens in Protokollform auf, wobei sich bei ihr sechs von sieben Familienmitgliedern in "kleinen" Therapiesitzungen mitteilen, sodass eine geglättete Umgangssprache zu Wort kommt, keine überinstrumentierte Literatursprache. Im Zentrum stehen Alexander Sommer, 19 Jahre, und seine Lebensgeschichte bis zum Zeitpunkt der Aufdeckung eines grausamen Familiengeheimnisses. Schlimmer als eine normale unglückliche Kindheit, schreibt McCourt in "Die Asche meiner Mutter", sei "eine unglückliche irische Kindheit, und noch schlimmer die unglückliche irische katholische Kindheit". Judith Taschler hat jedenfalls das Ihre dazu getan, eine unglückliche Tiroler katholische Kindheit als nicht weniger schlimm zu rekonstruieren: ein Pflegekind auf einem Bauernhof mit Gästebetten und Familienanschluss, viel Stallgeruch und Dorfmief - Sölden im Ötztal vor dem Russentourismus, Mitte der 1970er-Jahre bis Anfang 1990, die Zeit der Therapiegespräche.

Trotz der Distanz des Geschehens zu unserer Zeit bieten Taschlers Protagonisten großes Identifikationspotenzial, und die gewählte Erzähltechnik gewährleistet einen Grisham-Effekt, dem man sich hingeben kann (auch wenn dieser einer additiven Steigerung des "schlimmen" Schicksals geschuldet ist). Taschlers Konzept ist jedenfalls aufgegangen. Ihr Debüt ist mittlerweile in der dritten Auflage. Am 17. September erhält die Autorin den Franz Tumler-Literaturpreis für zeitgenössische deutschsprachige Romane. Ein schöner Achtungserfolg!

*Brenner-Archiv / Literaturhaus am Inn*


Quelle: Pool Feuilleton
Oft sind Geschichten so kompliziert, dass sie die handelnden Personen erst nach Jahrzehnten begreifen.

Sommer wie Winter ist eine teuflisch verdrängte Familiengeschichte aus einem touristisch hochgefahrenen ehemaligen Tiroler Bauerndorf. Nicht nur die Jahreszeiten sind im Tourismus mittlerweile verschwunden, indem zwischen Sommer und Winter kein Unterschied mehr gemacht wird, auch in der privaten Sphäre gibt es kaum noch einen Unterschied zwischen vorgespielten Sommer-Verhältnissen und der Kälte der Winter-Realität.

In Judith Taschlers Roman heißen die Beteiligten Sommer und Winter. Offensichtlich ist ein schweres Unglück passiert, denn die Figuren sind alle in psychologischer Betreuung. Aus den Therapiegesprächen wird so die Geschichte rekonstruiert und wenn möglich repariert.

Wie ein Virenscanner läuft der Psychologe über die wunden und infizierten Seelen der Familienmitglieder, die Hauptfigur heißt vorerst Alexander Sommer, aber er wird schließlich adoptiert und nennt sich wie der Rest der Familie Winter. "Aus dem Sommer wird jetzt ein Winter."(168)

Der Leser wird in Therapiestunden in eine seltsame Familienstruktur eingeführt. Im Dorf haben es die Protagonisten zu einem passablen Hotel gebracht, das aber kurz vor der Verpfändung steht. Der Sohn ist adoptiert, weil offiziell der Vater einen Sohn haben wollte. In Wirklichkeit wollte er nur das Kind versorgen, mit dessen Mutter er ein verstecktes Verhältnis gehabt hat. Die leibliche Mutter gilt offiziell als ausgewandert und verschollen.

Allmählich kristallisiert sich heraus, dass hinter den Wechselbädern der Gefühle ein handfester Kriminal-Plot versteckt ist. Ein väterlicher Polizist bringt schließlich einen lang zurückliegenden Fall ins Rollen. Am Ende der Therapie sind alle aufgeklärt und die Figuren versuchen in ein geordnetes Leben zu wechseln.

Judith W. Taschler erzählt eine Familiengeschichte als Kriminalfall mit überraschenden Wendungen. Als Bühne dient einerseits das prosperierende Tourismusleben im Tiroler Gebirge, andererseits die heile Familienwelt, in der die Protagonisten keusch und heilig wie Krippenfiguren aufgestellt sind.

Unter dieser schönen Welt sind freilich alle Beteiligten angeknackst, zerbrochen oder verschwunden. Alles, was man in die Hand nimmt und umdreht, gibt schreckliche Dinge frei, wie auch die Wörter, in der Therapie in den Mund genommen, letztlich eine schreckliche Geschichte frei legen.

Sommer wie Winter ist eine aufregende Familiengeschichte, in der die verdrängten Verhältnisse in heftigen Rucken zum 18ee Vorschein kommen. So spielt es sich wohl täglich zig-fach ab zwischen Sölden und Innsbruck, den Hauptorten des Dramas. - Eine kluge Erzählform, um die ewige Tragödie eines scheinheiligen Lebens in den Alpen zu erzählen.

Helmuth Schönauer

Rezension Belletristik-Couch/Carola Krauße-Reim/August 2021

Spannend wie ein Kriminalroman

Alexander Sommer kommt als kleines Kind in die Familie Winter. Als Pflegekind hat er es schwer; meist ignoriert, hat er nur zur gleichaltrigen Manuela ein inniges Verhältnis. Sein Wunsch nach Schulbildung wird der Arbeit auf dem Bauernhof im Bergdorf Sölden geopfert. Als er älter ist, will er seine leibliche Mutter finden, die angeblich nach Neuseeland ausgewandert ist und ihn einfach in der kahlen Wohnung zurückgelassen hatte. Mit diesem Wunsch tritt er Ereignisse los, die in einer Katastrophe enden ...

Ein viel beachtetes Debüt
Judith W. Tascheler, inzwischen eine über die Landesgrenzen hinaus bekannte österreichische Autorin, hat mit Sommer wie Winter 2011 ihren Debütroman vorgelegt, der gleich viel Beachtung fand. Wiederholt nominiert und ausgezeichnet, ist er seitdem in mehreren Auflagen erschienen, so jetzt bei Droemer. Auch wenn manches etwas antiquiert erscheint, ist das Thema zeitlos und der Roman immer noch spannend zu lesen.

In Sölden regiert der Gast
Gleich zu Beginn ist klar: Der Familie Winter/Sommer muss etwas Furchtbares geschehen sein, denn der ganze Roman besteht aus Protokollen von Gesprächen, die jeweils ein Familienmitglied mit einem Psychiater führt, ergänzt durch divers eingestreute Zeitungsartikel. Diese Gespräche finden von Januar bis April 1990 statt. Was sich eher nüchtern anhört, zieht den Leser sofort in den Bann. Alexander, das Pflegekind, berichtet dem Therapeuten von seiner Kindheit, seinen drei Schwestern und dem doch noch geborenen Erben Andreas. Die anderen Familienangehörigen schildern die Lage aus ihrer Sicht. Taschler schafft es mit wenigen Sätzen, die Kälte in dieser Familie zu verdeutlichen, in der immer nur der Bauernhof, die Pension und das später folgende 5-Sterne-Hotel wichtig waren. Die Kinder mussten alle mitarbeiten, die Gäste hatten stets Vorrang, und das Familienleben blieb auf der Strecke. Manchmal hat man auch den Eindruck, dass Geld und Ansehen wesentlich wichtiger waren als Geborgenheit und Liebe in der Familie. Dazu kamen die engstirnigen Moralvorstellungen und der Gesellschaftsdruck eines Bergdorfes, das 1990 wohl noch nicht so touristisch durchwachsen war wie heute. Jedoch spielt die Atmosphäre nur eine untergeordnete Rolle im Roman - im Vordergrund stehen die Figuren und ihre Charaktere.

Demontage einer Familie
Die beiden Protagonisten sind Pflegesohn Alexander und Manuela, seine gleichaltrige Schwester. Sie kommen am meisten zu Wort. Schon durch ihre Art der Artikulation zeigt Taschler die unterschiedlichen Charaktere: Alexander ist zurückhaltend und still. Obwohl er intelligent ist, wird ihm der Wunsch nach höherer Bildung verwehrt; er muss im Stall und aushilfsweise in der Pension arbeiten. Er führt ein sklavenähnliches Leben. Manuela ist das Gegenteil: Sie setzt sich zur Wehr, macht als erste Frau im Tal eine Ausbildung zur Mechanikerin. Sie unterstützt Alexander, wo es nur geht, und hält zu ihm. Im Laufe der Protokolle kristallisiert sich die Familienkonstellation immer mehr heraus. Die Probleme, immer schön unter den Teppich gekehrt, kommen jetzt durch die Aussagen und damit auch durch die Charaktere der Berichtenden ans Licht. In dieser Familie gab es nicht nur Ungesagtes, sondern auch gehütete Geheimnisse, die ausgesprochen die Familie zerstören und - was fast noch schlimmer ist - ihren Ruf im Dorf. Taschler hat mit dem nüchternen Stil der Protokolle alles Narrative aus der Geschichte genommen - keine wörtliche Rede, kein beschreibender Erzähler, nur die pure Innenansicht der Familie. Dennoch oder gerade deswegen ist das Erzählte so unglaublich fesselnd. Immer mehr erfährt der Leser, immer mehr wird offenbart, bis es zum Schluss zum Fiasko kommt, das die Familie auf eine sehr harte Probe stellt.

Fazit
Ein Buch, das unter die Haut geht! Sommer wie Winter ist die Innenansicht einer Familie, die an Geheimnissen, herrschenden Moralvorstellungen, Geldgier und fehlender Wärme zugrunde geht. Judith W. Taschler schafft es, aufgrund des ungewöhnlichen Stils und der sehr guten Figurenzeichnung eine Spannung aufzubauen, die bis zum Schluss anhält.
Bemerkung Katalogisat abgeglichen mit: Deutsche Nationalbibliothek
Exemplare
Ex.nr. Standort
7767 DR.E, Tas

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