Vati : Roman

Helfer, Monika, 2021
1.5 Sterne
Bücherei Zams
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Medienart Buch
ISBN 978-3-446-26917-0
Verfasser Helfer, Monika Wikipedia
Systematik DR.B - Biographische Romane, romanhafte Biographien
Schlagworte Familie, Familiengeschichte, Erzählende Literatur: Gegenwartsliteratur ab 1945, Erinnerung, Herkunft, Kriegsenkel, Dörte Hansen, Annie Ernaux, Die Bagage, Nachkriegskinder, Sabine Bode
Verlag Hanser, Carl
Ort München
Jahr 2021
Umfang 176 Seiten
Altersbeschränkung keine
Reihe Die Geschichte meiner Familie / Monika Helfer
Reihenvermerk Band 2
Sprache deutsch
Verfasserangabe Monika Helfer
Annotation Monika Helfer schreibt fort, was sie mit ihrem Bestseller „Die Bagage“ begonnen hat: ihre eigene Familiengeschichte.

Ein Mann mit Beinprothese, ein Abwesender, ein Witwer, ein Pensionär, ein Literaturliebhaber. Monika Helfer umkreist das Leben ihres Vaters und erzählt von ihrer eigenen Kindheit und Jugend. Von dem vielen Platz und der Bibliothek im Kriegsopfer-Erholungsheim in den Bergen, von der Armut und den beengten Lebensverhältnissen. Von dem, was sie weiß über ihren Vater, was sie über ihn in Erfahrung bringen kann. Mit großer Wahrhaftigkeit entsteht ein Roman über das Aufwachsen in schwierigen Verhältnissen, eine Suche nach der eigenen Herkunft. Ein Erinnerungsbuch, das sanft von Existenziellem berichtet und schmerzhaft im Erinnern bleibt. „Ja, alles ist gut geworden. Auf eine bösartige Weise ist alles gut geworden.“


Monika-Helfer-Roman
Auf den Spuren des Nachkriegsvaters
Für ihren Bestseller „Die Bagage“ ist sie rundum gefeiert worden, nun folgt Teil zwei der autobiografischen Spurensuche: Mit „Vati“ ist Monika Helfer ein zartes, intensives Erinnerungsbuch gelungen, in dessen Zentrum ihr Vater steht, Archetypus einer schweigsamen Nachkriegsgeneration. Eine Geschichte zwischen Armut und Aufstieg, Idyll und Abgründen – und einer fast manischen Liebe zu Büchern.

Eine Berglandschaft mit den „buntesten Blumenwiesen“, aufregende Lastenseilbahn-Abenteuer, im Haus der Duft einer Seife, die die Autorin sofort im „Hunderterpack“ kaufen würde: Die Tschengla, ein Hochplateau bei Bludenz, ist für Helfer ein Sehnsuchtsort, das wird schon auf den ersten Seiten klar. Der Vater der heute 73-jährigen Autorin leitete in den 1950er Jahren auf 1.220 Meter Seehöhe ein Kriegsopferheim, und Helfer verbrachte ihre Kindheitsjahre dort.

Von Anfang an ist hier aber auch klar, dass die Vertreibung aus diesem „Paradies“, wie Helfer es nennt, gewiss ist. Die Schatten auf der Familienbiografie, der frühe Tod der Mutter, man kennt sie bereits aus dem ersten Teil ihrer Familienerzählung.

Erster Bestseller nach langer Karriere
Mit „Die Bagage“ hat Helfer letztes Jahr Feuilletons wie Leserschaft begeistert. Der Roman ist ein dramatisches autofiktives Stück, das von der kinderreichen Großelterngeneration mütterlicherseits erzählte, die rund um den Ersten Weltkrieg unter ärmlichsten Verhältnissen in einem Bergdorf lebte und dort Missgunst und Ressentiments erfuhr.

Davor hatte Helfer bereits in mehr als vier Jahrzehnten zahlreiche Romane, Erzählungen, Theaterstücke und Kinderbücher veröffentlicht, inklusive das für den Deutschen Buchpreis nominierte „Schau mich an, wenn ich mit dir rede!“. Bis eben „Die Bagage“ ihr erster richtiger Bestseller wurde.

Bankert aus der Baracke
Und nun also die Erinnerung an den Vater, wieder in der für Helfer typischen reduzierten Sprache, wieder bruchstückhaft und zwischen den Zeiten hin und her changierend – und das ist auch diesmal stimmig. Josef, der Vater, war ein stiller, zart gebauter Mann, ein Kriegsinvalide, der in seinem Schweigen über die Vergangenheit und die eigenen Abgründe als Archetyp seiner Generation gezeichnet wird. „Alles wirklich Wichtige kann er nicht sagen“, notiert Helfer einmal.

Und noch etwas macht diesen Josef beispielhaft für die Generation der Nachkriegsjahre: Er nutzt das Vakuum nach dem Krieg, um sich neu zu erfinden. Selbst seiner künftigen Ehefrau berichtet er nicht über seine Herkunft von den „Ärmsten der Armen“. Als unehelicher Sohn einer Magd war er in einer Baracke aufgewachsen, eine von Mangel geprägte Kindheit, wo nicht einmal die Kleidung zum Eigentum zählte.

Die Eltern als Invalidengemeinschaft – so schildert Helfer ihre Herkunft. Ihr Kennenlernen findet im Lazarett statt, sie ist Krankenschwester, er der gerade beinamputierte Soldat. Die Mutter versorgt ihn und macht dem zurückhaltenden Mann gleich selbst einen Heiratsantrag, bevor er aus dem Krankenhaus entlassen wird.

Käfersammlung und Tannenharzduft
Der gemeinsame Aufstieg auf die Tschengla wird schließlich zum Synonym für den gesellschaftlichen Aufstieg. Weil die Turnusse mit den Kriegsversehrten nur in den Sommermonaten kommen, genießt die bald sechsköpfige Familie ein äußerst angenehmes Leben, das Helfer in knappen, sinnlichen Bildern zeichnet: da die aufregend-furchterregende väterliche Käfersammlung, dort der Tannenharzduft, der sich betörend mit dem „Muffgeruch der Bücher“ verbindet. Dass die Tschengla auch für den Vater zum paradiesischen Ort wird, hat nicht zuletzt mit der beeindruckenden Bibliothek zu tun, die das Heim vermacht bekommt.

Eine intensive, besessene Bibliophilie – wenn Helfer eines an ihrem ungreifbaren Vater festmachen kann, dann ist es das. Schon seit frühester Kindheit ist er dem Objekt Buch verfallen, so ausgeprägt, dass es schließlich zu einem dramatischen Zwischenfall kommt. Viele Jahre später muss Helfer ironischerweise sogar ihren Mann Michael Köhlmeier vor seiner ersten Begegnung mit dem Vater mahnen, Bücher „würdig“ zu behandeln, um ihn nicht vor den Kopf zu stoßen.

„Ich weiß nicht, ob er ein guter Mann war“
„Ich weiß nicht, ob er ein guter Mann war“, so lautet ein Fazit dieser väterlichen Rekonstruktion. Helfer versucht jedoch erst gar nicht, die Geschichte zu versiegeln, sondern setzt mit ihrer Montage von Reflexionen, Erinnerungen und Anekdoten, von Gegenwart und Vergangenheiten, auf das Bruchstückhafte und auf dezente Wiederholung – auch im Sinne der immer wieder erzählten Familienmythen.

„Vati“, das ist ein stimmiger, bisweilen schmerzhaft existenzieller Versuch, der eigenen Geschichte nahezukommen: „Ja, alles ist gut geworden. Auf eine bösartige Weise ist alles gut geworden.“ Ein dritter Erinnerungsband ist übrigens bereits in Arbeit, diesmal mit einem Bruder im Fokus.

In „Vati“ lässt Helfer nicht zuletzt die Bürde spüren, die es für sie bedeutet hat, Autorin zu werden. Ihre ersten beiden, ihm gewidmeten Romane hatte ihr „sprachzerlegungssüchtiger“ Vater noch erlebt und „mit hochgezogenen Brauen“ und „ohne Kommentar“ studiert. Immerhin: Beim nächsten Besuch stellte Helfer fest, dass sie es doch prominent ins väterliche Bücherregal geschafft hatte – gleich hinter Heinrich Heine. Dem Alphabet sei Dank.

Paula Pfoser, ORF.at
26. Jänner 2021

Ö1-Buch des Monats März 2021

Monika Helfer ist eine Wahrheitssucherin. Eine sensible Erzählerin der eigenen Familiengeschichte, die aber auch deutlich werden kann, wenn es um Widersprüche und Lebenslügen geht. Das hat die Schriftstellerin schon im Vorgängerbuch "Die Bagage" gezeigt, in dem die Herkunft der Mutter im Mittelpunkt steht.

Die wuchs am Rande eines Dorfes in ärmsten Verhältnissen auf, in wirren Weltkriegszeiten, verspottet und bedrängt von den Mächtigen der bigotten Provinzgemeinde. Auch der Vater, um den es im neuen Buch geht, ist von zeithistorischen Umbrüchen gebeutelt: Er wurde als Soldat nach Russland geschickt, und nach schlimmen Erfrierungen im Kriegswinter musste ihm der Unterschenkel amputiert werden.

Der Kriegsheimkehrer Josef Helfer möchte partout jemand sein, der "in die neue Zeit hinpasste", und tatsächlich bekommt er trotz Behinderung eine passable Stelle, wird Verwalter in einem Erholungsheim für Kriegsopfer. Hier führt er schon bald ein strenges und eigenwilliges Regiment.

Familiäre Sprachlosigkeit in Worte gefasst

Monika Helfer ist einem Epochenproblem auf der Spur, nämlich der Egomanie von Männer b8c n, die der Krieg zum Krüppel machte und die ihre Rücksichtlosigkeit mit dem Verweis auf eigene Qualen entschuldigen. Sie scheut sich weder vor Pathos noch vor Pointen. Sie nutzt das Genre der Autofiktion, um Grundsätzliches über die Menschen in ihrer Umgebung zu erfahren, aber auch um die familiäre Sprachlosigkeit in Worte zu fassen.

Die Autorin ist eine äußerst versierte Dramaturgin ihres biografischen Materials, das zwar von guten und schrecklichen Erfahrungen, von lustigen und aberwitzigen Familiengeschichten lebt, aber vor allem aber von der literarischen Kunst, die Geschichte eines Menschen angemessen zu verdichten, Leerstellen als Spannungsmoment zu nutzen und Fragen zu formulieren, die uns alle angehen: Was wissen wir überhaupt über die Menschen, die uns aufwachsen sehen, und was können wir aus den Fehlern der vorangehenden Generationen lernen?
Bemerkung Katalogisat importiert von: Deutsche Nationalbibliothek
Exemplare
Ex.nr. Standort
16990 DR.B, Hel

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