Haus der Kindheit : Roman

Mitgutsch, Anna, 2000
Bücherei Zams
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Medienart Buch
ISBN 978-3-630-87064-9
Verfasser Mitgutsch, Anna Wikipedia
Systematik DR.E - Romane, erzählende Gegenwartsliteratur
Verlag Luchterhand Literaturverl.
Ort München
Jahr 2000
Umfang 332 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Anna Mitgutsch
Annotation Die Fotografie eines Hauses in einer österreichischen Kleinstadt hatte die Mutter von Max so sehr geliebt, daß sie diese in jeder neuen Wohnung in New York aufstellte, in jeder weiteren, immer ärmlicher werdenden Station ihres Exils. Zurück wollte sie jedoch nie. Daß ihre Schwester den Nazis nicht entkommen konnte, hat sie für immer von ihrem Zuhause abgeschnitten. Und auch Max zieht nichts zurück in die alte Heimat seiner Eltern: Er hat in New York Erfolg als Restaurator, und er führt ein ungebundenes Leben.
Dennoch bleibt in ihm eine heimliche Sehnsucht nach Europa wach. Knapp dreißig Jahre nach Kriegsende reist er zurück nach Österreich, findet dort allerdings nicht das in den Träumen seiner Mutter immer verlockender gewordene Haus, sondern trifft auf Beamte, die, unempfindlich gegenüber seiner jüdischen Familiengeschichte, ihn danach fragen, mit welchem Recht er die Rückgabe seines Besitzes überhaupt fordere. Bis ans Herz ernüchtert bricht Max seinen ersten Aufenthalt ab und kommt erst Jahre später wieder zurück.
Rätselhaft für ihn selber ist die Sehnsucht nach dem Ort, an dem seine Mutter für wenige Jahre glücklich war, und auch bei seinem zweiten Aufenthalt findet er keine Erklärung für dieses Gefühl. Dafür trifft er einige Menschen wie Spitzer, den alten Vorsteher der kleinen jüdischen Gemeinde, und eine Frau, die ihn einst sehr geliebt hat. Und er stößt auf eine unsichtbare Stadt, die verborgene Geschichte der
Juden, aber in allen diesen Vergangenheiten kann er auf Dauer nicht leben.
Anna Mitgutsch hat einen Roman über Suchen und Finden geschrieben, eine im höchsten Maß aktuelle Geschichte der Liebe zu einer Heimat, die nur noch in der Erinnerung betreten werden kann.

Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html);
Autor: Martina Lainer;
Kann man den Schrecken der Vergangenheit bewältigen? (DR)

*f35*
Max Berman ist ein erfolgreicher Architekt und fühlt sich als Amerikaner. Doch seine Sehnsucht nach Europa, nach der Stadt H., irgendwo in Österreich, wird nach dem Tod der Mutter, die nie wieder in ihre ehemalige Heimat zurückkehren wollte, aus der sie vor dem Holocaust entflohen war, mit zunehmendem Alter immer größer. Die Fotografie des Hauses und die Erinnerungen der Mutter haben sein Leben begleitet, nun möchte er das Haus seiner Kindheit zurückfordern. Er wird in Österreich nicht mit offenen Armen empfangen, stößt bei den Behörden auf Widerstand und bei den Bewohnern des Hauses auf Misstrauen und Feindseligkeit. Aber auch in der Stadt selber sind die dunklen Schatten der Nazivergangenheit da und sie treffen Max mit ungeminderter Härte, dem aufkeimenden Philosemitismus steht er skeptisch gegenüber. Immer tiefer verwurzelt er sich in der immer kleiner werdenden jüdischen Gemeinde, befreundet sich mit dem Rabbi der Stadt und beginnt an einer Chronik des Judentums in H. zu schreiben. Das Schockierende ist, dass sich die Vernichtung von Juden in der Geschichte stets wiederholte und der Holocaust im 20. Jahrhundert ein Höhepunkt war - oder doch der Endpunkt? Auf diese Frage gibt es keine Antwort, die Restaurierung der Synagoge von H., in der es nicht einmal mehr genügend Männer für den Minjan gibt, ist kein wirklicher Trost, ebenso wenig die zahlreichen Schaulustigen bei der Einweihung oder die peinliche Würdigung Maxens anlässlich seines Geburtstages. Max kehrt nach New York zurück: "Er hatte der Gegend und dem Ort, mit denen ihn frühe Erinnerungen verbanden, einen langen Besuch abgestattet, und wie es seine Absicht gewesen war, hatte er jede Jahreszeit zumindest einmal dort erlebt." (S. 332) Er hat unter das Leben seiner Mutter und seiner eigenen Vorgeschichte einen Schlussstrich gezogen und kann nun selber heimkehren: "Er spürte eine Woge von Wärme in sich aufsteigen, die stärker wurde, je näher er New York kam." (S. 333)
Anna Mitgutsch hat mit diesem Roman nicht nur ein wichtiges und heikles Thema der Zeitgeschichte aufgegriffen, sondern dieses auch noch literarisch beeindruckend verarbeitet. Die Vielschichtigkeit der Handlungsstränge, die sprachliche Prägnanz und die Tiefe, mit der sie ihre Figuren angelegt hat, machen dieses Buch zu einem der ganz wichtigen, das in keiner Bibliothek fehlen sollte.

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Quelle: Literatur und Kritik;
Autor: Erich Hackl;
Ahnung von einem Zuhause / Anna Mitgutschs großer Roman

Anna Mitgutsch ist eine selten erfolgreiche und eine mit seltener Inbrunst angefeindete Autorin. Ihre Wirkung erweist sich weniger an den Verkaufszahlen der sechs Romane, die sie seit 1986 veröffentlicht hat, als an der fast existentiellen Erschütterung, mit der diese Romane angenommen oder abgewehrt werden Mitgutsch ist keine unverbindliche Schriftstellerin, sie schreibt, als gelte es das Leben, und sie nimmt die Heldinnen ihrer Bücher so ernst, daß sie sich nicht von ihnen entfernen will. Das erzürnt manche Leser, Männer vor allem, so viel Nähe wollten sie sich durch die Lektüre nicht einheimsen, alles hübsch auf Distanz gehalten, und wer sich, wie die Autorin, nicht daran hält, produziert »Gefühlskitsch« in einer Zeit, in der man dem vermeintlichen Bindungsdruck durch bindungslose Kunst zu entkommen trachtet. Mitgutschs Fürsprecher hingegen sind sich in den Romanen der österreichischen Erzählerin selbst auf der Spur, und da es in ihrem bisherigen Schaffen immer um Frauen ging, um deren »Züchtigung« und »Ausgrenzung« und Leben »in fremden Städten«, aber auch um Freundschaft und Liebe, hat sich im Literaturbetrieb das Fehlurteil eingenistet, da bestelle eine Autorin das Feld der sogenannten Frauenliteratur. Was alle Grenzen sprengt, wird flugs rubriziert, damit entschärft.
Anna Mitgutsch schreibt über den Riß, der sich zwischen Privatheit und Öffentlichkeit auftut, zwischen Streben nach Glück und Zerbrechen an gesellschaftlichen Strukturen, die der Fürsorge und dem Mitleid abhold sind. Ihre Frauen finden sich zurückgestoßen in die Vereinzelung, es bleibt ihnen verwehrt, Gleichgesinnte zu treffen. Sie bringen auch nicht die Kraft auf, ihre Einsamkeit loszuwerden. Von daher, und nur von daher, verstehe ich die Ungeduld gegenüber den Heldinnen der Romane, ob sie nun Marie, Marta oder Lilian, Dvorah, Sonja oder Vera heißen: sie umgeben sich häufig mit den falschen Freunden, heiraten die falschen Männer, kommen nicht los von der eigenen, falschen Familie. Umso heftiger und gewagter, auch selbstzerstörerisch, sind dann die Ausbrüche, die sie unternehmen.
Im neuen Roman "Haus der Kindheit", ist vieles anders. Erstens steht ein Mann im Mittelpunkt des Geschehens. Zweitens gesellt ihm die Autorin eine Reihe von Personen zu, die vom Rand des Geschehens unmerklich ins Zentrum rücken, so daß sich die individuelle Geschichte zum Panorama einer Gesellschaft weitet. Drittens läuft die Fabel nicht geradlinig auf ein tragisches Ende zu; auch wenn sich der Roman dessen Arbeitstitel "Die Enteignung" lautete als Chronik eines Scheiterns lesen läßt, widerspricht er nicht der Hoffnung, daß noch nicht alles entschieden ist. Viertens nimmt sich die Erzäh-lerin stark zurück sie, und mit ihr die Autorin, scheint gelassener geworden zu sein, nicht mehr so unbedingt in ihrem Bestreben, die Sache der Bedrängten zu verfechten.
Das »Haus der Kindheit« steht in H., einer österreichischen Kleinstadt. Max Berman hat es 1928, mit fünf Jahren, verlassen, zusammen mit seinen Eltern, die nach New York ausgewandert sind. Die zurückgebliebenen Großeltern fallen zehn, fünfzehn Jahre später dem Naziterror zum Opfer. Das Haus wird »arisiert« und auc 1c45 h nach der Befreiung den Erben nicht zurückgegeben. Im Herbst 1945, als Max als Corporal der US-Army zum ersten Mal in seine Geburtsstadt zurückkehrt, wird ihm der Zutritt zum Haus verwehrt. Bei seinem zweiten Aufenthalt, 1974, trifft er immer noch auf »diese Mischung aus Unterwürfigkeit und Überheblichkeit«, die es ihm unmöglich macht, sich der Stadt zugehörig zu empfinden. Immerhin gelingt es seinem Anwalt, die Rückstellung des Hauses zu erwirken. Aber H. bleibt ihm fremd; Max zweifelt nicht daran, daß er nach New York gehört, auch wenn ihn dort »die alte Sehnsucht nach Europa wieder heimsuchen würde«. Anfang der neunziger Jahre gibt er ihr nach das Haus, das ihm gehört, steht nach dem Auszug der letzten Mieter leer, er will es nach seinen Vorstellungen einrichten, »jede Jahreszeit dort zumindest einmal noch erleben«, den Gerüchen, Stimmen, Schatten der Kindheitserinnerungen nachgeben. »Er war überzeugt, er kehre an den Ort zurück, an dem er sterben werde.« Aber nach einem langen Aufenthalt, bei dem er tatsächlich alle Jahreszeiten erlebt hat, fliegt Max zurück nach New York, »nach Hause«, wie er sagt. In H., in deren winziger jüdischer Gemeinde, hat er zwar Freunde gefunden und Bekanntschaften geschlossen. Aber sein größter Freund, der Remigrant Spitzer, ist gestorben, und Nadja, die einmal geliebte Fotografin, fällt in der Ukraine einem Verbrecher zum Opfer nichts hält ihn mehr an diesem Ort, an dem alles in die Vergangenheit weist, die Vernichtung jüdischen Lebens, die sich nicht wegmachen läßt.
Trotzdem ist der Roman mehr als nur eine notgedrungen elegische, auch bittere Darstellung der gescheiterten Annäherung an eine Gesellschaft, die mit der eigenen Geschichte schwer umzugehen versteht; Mitgutsch schreibt, parallel dazu, auch die Geschichte mehrerer Menschen in Max Bermans Umgebung, die ungeachtet aller Schwierigkeiten und Widersprüche den festen Willen haben, aufeinander zuzugehen. In ihnen ist, als Möglichkeit, die Kraft angelegt, sich über die Verhältnisse zu erheben. Das ist so tröstlich, daß man während des Lesens immer wieder tief atmet, wie in Augenblicken großen Glücks. Und man wird beinahe trunken von den ungemein dichten Orts- und Naturbeschreibungen, den Schilderungen des Alltags in New York und in amerikanischen Kleinstädten. Aber sogar die aus Gründen der Diskretion anonymisierte Stadt H. gewinnt allmählich Konturen, wird plastisch, gleichsam begehbar. Also doch ein Ort zum Leben, dieses Österreich, trotz all der vertrackten Biographien, die Max einmal zum halb verzweifelten Ausruf nötigen: »Gibt es denn keine glücklichen Menschen in diesem Land?«
Im vergangenen Jahr hat Anna Mitgutsch im Rahmen der Grazer Poetikvorlesungen Überlegungen zum Thema »Erinnern und Erfinden« angestellt. Damals steckte sie noch mitten in der Arbeit an ihrem neuen Roman, und ein besonders lesenswerter Abschnitt ihrer Vorlesungen beschäftigte sich mit den verschiedenen Fassungen seines Anfangs. »Der Einstieg in eine konkrete Situation führt die wichtigsten Figuren ein und verweist innerhalb der konkreten Situation auf die Schlüsselbegriffe des Romans: Enteignung und Sehnsucht nach Behaustheit.« Tatsächlich ist es der Autorin gelungen, in der fortgesetzten Enteignung jüdischen Besitzes Spuren der Aneignung zu sichern, und in der Sehnsucht nach Behaustheit die Ahnung von einem Zuhause.

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Quelle: SCHRIFT/zeichen;
Lebenslange Heimkehr

Heimkehr, die ein Leben dauert. Lange braucht dieser Roman, bis Max, der als jüdisches Kind aus seinem Vaterland Österreich fliehen musste, sich wieder zurückbegibt, ins Haus seiner Träume, seiner Kindheit. Als ob er wüsste, dass die Wirklichkeit anders aussieht als die Erinnerung, dass nicht alle darauf warten, ihn willkommen zu heißen.
Nein, willkommen ist er keineswegs, als er das erste Mal "nach Hause" kommt und feststellt, dass die Täter von damals bzw. ihre Nachkommen in seinem Haus "zu Hause" sind und er selbst bestenfalls einen Teil des Hauses wird bewohnen können. Da geht er lieber wieder nach Amerika zurück. Jahre später ein zweiter Versuch. Das Haus gehört inzwischen ihm. Da hält es ihn länger, er knüpft Beziehungen zur Israelitischen Kultusgemeinde, forscht über die Geschichte der Juden in dieser Kleinstadt nach und stellt fest: nicht erst in diesem Jahrhundert hat es Verfolgungen gegeben, nein, sie ziehen sich durch die Geschichte, eine Geschichte, die Max niederschreibt. Aber zu Hause? Zu Hause ist er nicht. Nicht zuletzt auch deshalb, weil er seine wahre Liebe zu spät erkennt. Was bleibt ihm übrig, als doch wieder hinüber zu gehen, übers Meer?
Anna Mitgutsch hat den richtigen Ton gefunden für dieses heikle Sujet, Themen wie Heimat und Fremde, Zugehörigkeiten unterschiedlichster Art zum Judentum, Enteignung und Rückgabe von jüdischem Eigentum, Sehnsucht nach der Kindheit - nach einer heilen Welt ... auf diesem glatten Parkett rutscht sie nicht aus. Und schreibt den Roman so, wie Max' "Heimkehr" verläuft: zögerlich, kreisend, mit langem Anlauf ...
Das Haus wird zum konkreten Bild für das, was Heimat, Behausung bedeutet - und was Enteignung: Es ist das Ausstoßen in die Unbehaustheit. Diese Grundthemen ihres Romans spricht Mitgutsch schon auf der ersten Seite an. Die Autorin, die sich selbst als keinen sesshaften Menschen bezeichnet, kennt die Welten, von denen sie schreibt, die Großstädte Amerikas ebenso wie die oberösterreichische Kleinstadt, das Judentum, zu dem sie übergetreten ist, ebenso wie den Katholizismus, in dem sie aufgewachsen ist. Alle ihre Bücher sind Versuche, das Anderssein verstehen zu wollen. Dieses hier ein besonders gelungener.
Brigitte Schwens-Harrant
*Sz*
2/2000
Bemerkung Katalogisat abgeglichen mit: Rezensionen online open (inkl. Stadtbib. Salzburg)
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