Die Königin schweigt : Roman

Freudenthaler, Laura, 2017
Bücherei Zams
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Medienart Buch
ISBN 978-3-99059-001-0
Verfasser Freudenthaler, Laura Wikipedia
Systematik DR.E - Romane, erzählende Gegenwartsliteratur
Schlagworte Geheimnis, Fiktionale Darstellung, Erzählende Literatur: Gegenwartsliteratur ab 1945, Großmutter, Lebenserinnerungen, Dorfleben, Erinnerungsfragmente, Kindheit in den 30er Jahren
Verlag Literaturverlag Droschl
Ort Graz
Jahr 2017
Umfang 206 Seiten
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Annotation Fanny, die »Königin«, ist eine vom Schicksal immer wieder hart getroffene Frau, die ihren Lebensabend alleine verbringt und über alles Vergangene schweigt.
Auch das Tagebuch auf ihrem Nachtkästchen, ein Geschenk ihrer Enkelin, lässt Fanny unberührt liegen, statt es Seite für Seite mit den Tragödien des Erlebten zu füllen. Doch in Tagträumen und schlaflosen Nächten kann sie sich der Erinnerungen nicht erwehren, und so zieht ihr ganzes Leben in aufwühlenden Bildern an ihr vorbei: Wir begleiten Fanny durch alle Lebensphasen, beginnend mit der Kindheit auf dem elterlichen Hof in den 1930er-Jahren bis nahe an ihren Tod.
Verdichtet, klar und in ergreifenden Momentaufnahmen erzählen diese Erinnerungsfragmente, wie Fanny zu einer unnahbaren und stolzen Frau geworden ist. Es ist eine von großer Menschenkenntnis und hoher Sensibilität durchdrungene Figurenzeichnung, die das bemerkenswerte literarische Können einer jungen Autorin zeigt.
Laura Freudenthaler beeindruckt mit einem feinsinnigen Gespür für Stimmungen und Emotionen. Ihre sorgsam ausgewählte Sprache und Erzählweise schafft eine verblüffende Verbindung aus Wahrnehmung, Erinnerung und Wieder-Erleben.


Quelle: bn.bibliotheksnachrichten, Simone Klein
Psychogramm einer Frau, die durch ihr Schweigen ihre Würde bewahren wollte. (DR)

Die 1984 in Salzburg geborene und derzeit in Wien lebende Germanistin und Philosophin Laura Freudenthaler war Mitarbeiterin bei der APA, bevor sie 2010 beim "Wörter.See"-Literaturpreis und 2014 mit ihrem ersten Erzählband "Der Schädel von Madeleine" die Aufmerksamkeit der Literaturszene erregte. Diesmal legt Freudenthaler ihr Romandebüt vor, in dem Fanny, zeitlebens eine "schweigende Königin", angesichts des nahenden Todes ihr Schweigen bricht und aus ihrem bewegten Leben erzählt. Fanny und ihr Bruder hatten die Kindheit auf dem elterlichen Bauernhof verbracht, bevor sie als einziges Mädchen die Wirtschaftsschule besuchen durfte. Dann fiel der Bruder im Krieg, Fanny heiratete den Dorfschullehrer, bald darauf musste der Hof verkauft werden. Der Gatte verunglückte tödlich, kaum nachdem Fanny ihren Sohn Toni geboren hatte, dann starben die Eltern und Fanny lebte schließlich mit ihrem Sohn zusammen, bis dieser aus für sie unerfindlichen Gründen Selbstmord beging. Sämtliche Männer, die ihr näherzukommen versuchten, starben ihr weg. Infolge dieses arbeits- und ereignisreichen Lebens - und nicht zuletzt des Dorftratsches wegen - war Fanny zu einer stolzen und unnahbaren Frau geworden. Rein äußerlich allerdings, denn das Schweigen hatte ihr stets geholfen, ihre Würde zu bewahren.

Dementsprechend zeichnet Freudenthaler sehr behutsam, feinsinnig und mit einer guten Portion Menschenkenntnis das hintergründige Leben ihrer Figur nach, die als Schulmeisterin gelernt hatte, dass es "immer zwei Wirklichkeiten gab, eine vordergründige, über die laut gesprochen wurde, und eine Wirklichkeit hinter vorgehaltener Hand". Für alle Bibliotheksbestände geeignet.


Quelle: Literatur und Kritik, Helmut Gollner
Ein ganzes Leben

Laura Freudenthalers Romanerstling »Die Königin schweigt«

Am Schluss des Buches, als Fanny alt und schon in Todesnähe ist, schaut sie von ihrer Wohnzimmercouch in den Garten hinaus: Rosenhecke, Terrassengeländer, Mond und Laterne, es duften Gras und Holz – ein detailliertes Wahrnehmungsprotokoll. Zu Fanny selbst nur der Satz: »Sie atmete.« Fanny schaut und atmet, und die Autorin fügt kein Wort hinzu. Was in Fannys Alltag geschieht, hat aufgehört eine Geschichte zu sein, Zusammenhang und Pointe fehlen, Wahrnehmung allein macht noch keine Geschichte, oft kann Fanny »keinen Moment vom anderen unterscheiden«. Die Kunst der Autorin besteht darin, sich, wortkarg und vielsagend, in einer Weise auf die Wahrnehmung zu beschränken, dass das Außen zugleich Auskunft gibt über das Innen, zielloses Atmen und Schauen beschreibt Fannys Befindlichkeit, den endgültigen Verlust der Welt. Laura Freudenthaler hat die Erzählgabe der unausgesprochenen Psychologie. Die Momentaufnahmen aus Fannys Leben – kleine, mosaikartig komponierte Szenen – hinterlassen gerade wegen ihrer lakonischen Beschränkung auf Wahrnehmungs- und Faktenmitteilung alle den Nachhall des Ungesagten. Das Wichtigste geschieht zwischen den Zeilen.

Zugleich ist Freudenthalers Sammlung von Momenten aus Gegenwarten und Vergangenheiten eine überzeugende Form zur Erfassung eines ganzen Lebens; sie zieht die zielgerichtete Chronologie in eine realitätsgerechte Breite. Ein Mosaik erspart im Übrigen auch lästige Storypflichten.

Fanny hat sich zunehmend verbarrikadiert hinter Konventionen und anderen Sozialverweigerungen. Aber wie zart man mit dieser sonderbaren Alten umgehen kann in Freudenthalers Schreibweise, zart und urteilsfrei! Verhaltensbeobachtungen sind zart, erst Diagnosen latschen ins Innere der Figur wie der Elefant in den Porzellanladen. Andererseits braucht es sehr viel psychologisches Einfühlungsvermögen, die Stummheit der beobachteten Phänomene beredt zu machen.

Fannys Leben ist eine Schule des Verstummens: Ein Bauernmädchen, das sich als Kind gerne unter Tisch und Bank verkriecht; der Vater hat Rechtschaffenheit und Intoleranz statt Liebe und Zärtlichkeit; das Ergebnis seiner »Erziehung« ist Selbstkontrolle, »nie weinte Fanny«. Im Grunde aber liebt sie den verstummenden und erstarrenden Vater. Fanny besucht die Haushaltsschule und heiratet den neuen Lehrer, nunmehr »Schulmeisterin«, die für die Schulkinder kocht. Ihr Mann ist abends meist im Wirtshaus, das Warten auf ihn wird zu Fannys Lebensform. Gleichwohl wird sie schwanger: ein Sohn, Toni. Betrunken fährt ihr Mann an einen Baum und bricht sich das Genick.

Bis zur Selbstverleugnung hängt Fanny inzwischen an den Konventionen; für diese hat sie einen Begriff wie eine Festung: »Ordnung«, und für ihr Konventionalverhalten einen Begriff der Selbstrettung: »Stolz«. Ein einziges Mal hatte sie ihren Mann aus Enttäuschung und Wut mit Vorwürfen überhäuft. Der Lehrer hatte sich das verbeten, und Fanny »schlüpfte leise ins Bett und verwandelte sich langsam zurück. So war die Ordnung.« Beim Begräbnis ihres Mannes überlässt sie den Trauergästen »die gefühllos gewordene Hand und das Gesicht, aus dem sie sich zurückgezogen hatte«. Fanny lässt niemanden mehr ein und verlangt bei niemandem Eintritt; die Vergangenheit wird tabuisiert als »Reich der Toten« und für andere geschlossen (als Fannys persönliches Eigentum). Konfusion, wenn ihre Gefühle an die Grenzen der »Ordnung« stoßen, Abweisung, wenn andere das tun. Als (Haushalts-)Hilfe notwendig wurde, »war Fanny daneben gestanden und hatte mit der einen Hand die andere gehalten« (Freudenthalers auf die Wahrnehmung reduziertes Erzählen!). Die zwanghafte Wahrung der Grenzen zeitigt ein unausgesprochenes und schließlich unaussprechliches Leben.

Männer? Haarfein beschreibt Freudenthaler Fannys Gesten der Selbstreservierung, die Männer (auch den Oberförster) nur an die Peripherie ihres Ichs lassen. Fanny ist völlig überzeugt vom Absolutismus des Unglücks. Sohn Toni, ihr unbekannt geblieben, begeht Selbstmord, der Oberförster stirbt. Fanny hat eine Enkeltochter. Ihr erzählt sie Szenen aus ihrem Leben, allerdings nach Art von Märchen. Dann verliert die Enkeltochter das Interesse.

Zuletzt verliert auch die Wirklichkeit in Fannys Kopf die Ordnung, die sie ihr gegeben hat. »Fannys Sinne waren feiner denn je. […] Ganz nackt waren ihre Augen für die Toten, die in den Obstbäu-

men hingen, aufgeknüp 13eb ft zwischen Zwetschken und Äpfeln und blutig.«

Laura Freudenthaler, Jahrgang 1984, lebt in Wien. Der Roman ist ihr erster. Allerdings hat sie schon 2014 einen bemerkenswerten Erzählband vorgelegt, Der Schädel von Madeleine, funkelnde Paargeschichten, in denen sie ihre narrative Fähigkeit bewies, Oberflächen so zu beschreiben, dass das Darunterliegende zu lauern und zu brodeln beginnt.


Quelle: Pool Feuilleton
Im Alter wird das Leben noch einmal durchgespielt und wiedererweckt, ehe dann der Tod alle Eigenerinnerungen fragmentiert und das Leben als Erinnerung auf die Hinterbliebenen aufteilt.

Laura Freudenthaler erzählt im Roman "Die Königin schweigt" von einer Frau, die ihre Biographie selbst durchdämmert, während sie das angebotene Notizbuch weiß und schriftlos liegen lässt. Die unzähligen Kleinkapitel beginnen immer mit einem Fanny-Satz, die Heldin Fanny unternimmt etwas, sagt etwas oder führt einfach ein Stück Leben. Eingekreist ist dieser Zustand von jener Sequenz, wo sich Fanny früher eine Tasse Kaffee gekocht und die Zeitung von der Haustür geholt hat, am Schluss schaut sie auf das Wohnzimmerfenster, durch welches Nachtluft hereinkommt, und atmet, aber die Geschichte ist vorbei.

Dazwischen gibt es eine stille Biographie zwischen Alltäglichkeit und Verschwiegenheit. Fanny lebt wie selbstverständlich zuerst am Dorf, später in der Kleinstadt und schließlich für kurze Momente in der Hauptstadt. Dabei bleibt die Sicht auf die Welt passiv, "seinesgleichen geschieht", könnte man mit Musil sagen.

Plötzlich ist alles still, weil das Land im Kriegszustand ist, dann kommt ein Lehrer und bittet sie zur Frau, der Elternhof wird verkauft, der Lehrer wird immer rabiater und eines Tages ist ein Sohn da, um den sich Fanny seltsam glanzlos kümmert. Dieser hat dann eines Tages eine Tochter, und das Enkelkind nimmt Kontakt auf und transformiert das Leben der Fanny stillschweigend zu einem Roman. Zum sechzigsten Geburtstag gibt es im Oberförsterhaus einen Braten und eine Beziehung zum Oberförster. Aber alle Männer verlassen die Geschichte still und in einem Nebensatz, die meisten dadurch, dass sie einfach tot sind.

Das große Thema nämlich ist die Erzählweise, der Stoff wird in kleinen Partikeln angeboten und der Leser muss diese selbst zu einer Biographie zusammensetzen. Es ist nämlich der Körper, der durch das Verdämmern erzählt. (28) Zwischen Dahindösen, Altwerden, und Wachsein treten die erinnerten Zustände hervor. Erst jetzt, in der stummen Abrechnung wird das Leben ruhig und richtig. Die Königin schweigt dabei und schaut der eigenen Verwesung und Verfestigung als Erinnerungsstück zu.

Laura Freudenthaler bringt mit dem Roman diese Unsterblichkeit zum Schwingen, die in der Literatur manchmal durch Ausstopfen oder Zur-Schaustellung der Helden (Vitrinisierung) angesprochen wird. Die Königin ist unsterblich, so lange Fanny zwischen den Buchdeckeln atmet, dann liegt es am Leser, sie am Leben zu halten. Beim letzten Wort des Romans nämlich hat Fanny noch geatmet. - Eine wundersame Erzählmethode, um den Tod auszutricksen.

Helmuth Schönauer
Bemerkung Katalogisat importiert von: Deutsche Nationalbibliothek
Exemplare
Ex.nr. Standort
12451 DR.E, Fre

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