Die Kinder gehen in die Oper : [Roman]

Winiewicz, Lida, 2007
Bücherei Zams
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Medienart Buch
ISBN 978-3-85002-616-1
Verfasser Winiewicz, Lida Wikipedia
Systematik DR.B - Biographische Romane, romanhafte Biographien
Schlagworte Belletristische Darstellung, Frankreich, Fiktionale Darstellung, Weibliche Jugend, Faszination, Wien, Oper, Juden, Exil, Österreicher, Geschichte 1938-1942
Verlag Amalthea
Ort Wien
Jahr 2007
Umfang 200 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Annotation Berührender Roman einer Jugend im Kriegs-Wien: Zwei Kinder ohne Eltern, während des Kriegs, in Wien. Verdunkelung, Feind im Anflug, Verschüttete, Kraft durch Freude, Blut und Ehre, stolze Trauer, die Hakenkreuzfahne am Rathaus, das Fallbeil im Landesgericht. Und nie gekannt, längst verstorben, eine Großmutter namens Esther. Die Spur führt mitten durchs Leben der beiden Enkelinnen. Sie gehen in die Oper. Die Oper bietet Asyl. Musik und Unwirklichkeit helfen, die Wirklichkeit zu ertragen.


Quelle: bn.bibliotheksnachrichten, Barbara Tumfart
Die Schrecken des Nationalsozialismus aus der Sicht zweier junger jüdischer Mädchen. (DR)

Lida Winiewicz wurde 1928 in Wien geboren und arbeitet als Schriftstellerin und Übersetzerin. Für ihre zahlreichen Theaterstücke, Fernsehspiele und Fernsehserien für in- und ausländische Stationen, wurde sie bereits mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. In ihrem aktuellen Roman "Die Kinder gehen in die Oper" zeigt sie den LeserInnen das schwierige Leben im Wien der 1940er Jahre und bietet berührende Einblicke in die problematische Lebenswelt zweier junger heranwachsender Mädchen. Die zwei Schwestern Marion und Lily, dreizehn und elf Jahre alt, wachsen bei ihrer Tante Frieda in Wien auf. Die Mutter verstarb bereits sehr früh und der Vater flüchtete mit seiner zweiten Frau nach Frankreich, wo er hofft, ein Visum für die ganze Familie nach Amerika zu bekommen. Die Briefe, die er in seiner Verzweiflung an die geliebten zurückgelassenen Töchter schreibt, sollen ihr Ziel nie erreichen. Inmitten einer vom Krieg geprägten Großstadt mit Verdunkelung, Bombenangriffen und Übergriffen auf die jüdische Bevölkerung flüchten sich die Kinder mit ihren Freunden in die Traumwelt der Oper. Mit ihrem kargen Taschengeld finanzieren sie sich die regelmäßigen Stehplatzbesuche in der Oper und begeistern sich für die noch heile Welt der großen Bühnenemotionen.

In beklemmender Weise gelingt es der Autorin, die zeitgeschichtlichen Geschehnisse, die schrecklichen Ereignisse der Nazi-Zeit mit dem privaten Schicksal zweier Mädchen mit jüdischen Wurzeln zu verknüpfen. Ein Kaleidoskop menschlichen Verhaltens tut sich hier auf, das typisch für jene schwierige Zeit scheint: die einfache und unwissende Tante, der idealistisch-träumerische Vater, die nationalistische arische Lehrerin, der rechtschaffene und überforderte Freund der Familie und zwei kleine Kinder, denen sich langsam, aber stetig das Grauen ihrer Umwelt offenbart.


Quelle: Literatur und Kritik, Judith Brandner
Verheerende Gleichzeitigkeit

Lida Winiewicz' Roman "Die Kinder gehen in die Oper"

Draußen ist Krieg und die Kinder gehen in die Oper. Sie gehören zur Stehplatzclique. Nicht zu der auf der vierten Galerie, Lili und ihre Schwester Marion gehen für eine Mark ins Stehparterre. Vierte und Stehparterre stehen miteinander auf Kriegsfuß. Der regelmäßige Opernbesuch wird im Roman zur Metapher für die Gleichzeitigkeit von Alltagsleben und dem zunehmenden Wahnsinn.

Es ist die Zeit des Nationalsozialismus, und Lili und Marion sind, nach der Logik der Nürnberger Rassengesetze, Vierteljüdinnen. Seinerzeit hatte in Lemberg die jüdische Esther den katholischen Henryk geheiratet. Simon Levy, Großonkel der beiden Mädchen, Bruder ihrer Großmutter, hatte der Heirat im Jahre 1875 - zögerlich, und nur gegen eine pekuniäre Garantie von fünfundzwanzigtausend Gulden - zugestimmt. Und brachte in einem Schreiben seine große Sorge darüber zum Ausdruck, "dass aus dieser Verbindung für künftige Generationen kein Unheil erwachsen möge". Simon Levys brieflich festgehaltene Bedenken stehen am Ende des Romans, und der scheinbar unaufhaltsame Verlauf der Geschichte hat seiner Sorge auf grausame Weise Recht gegeben.

Lili und Marion leben in Wien, bei Tante Frieda, der Schwester ihres Vaters. Ihre leibliche Mutter - sie war katholisch - ist tot. Der Vater ist vor den Nationalsozialisten nach Frankreich geflüchtet. Tante Frieda ist durch die Ehe mit dem um vieles jüngeren "Arier" Josef geschützt, der bei seiner alten Mutter in Kärnten lebt. Die wiederum will von dieser angeheirateten Verwandtschaft, die nicht ins ideologische Konzept der Zeit passt, nichts wissen. Hilfe ist von dieser Seite nicht zu erwarten. Lili besucht die Hauptschule. Marion, die ältere, ist 14, Bürolehrling. Über den Schreibtisch des Chefs gehen Ansuchen um Freistellung vom Wehrdienst. Die Bürodamen schaffen sich grotesk anmutende Freiräume. Sie haben einen Grundsatz: Alles Private wird während der Dienstzeit erledigt: Einkaufen, Wäschewaschen, Kochen, Haareschneiden, Maniküre, Pediküre. Auch hier geht der ganz normale Alltag weiter.

Der Vater von Marion und Lili ist mit seiner zweiten Frau, Miriam, nach Montauban geflüchtet, nachdem ihm die Nationalsozialisten seinen Job als "jüngster Jurist bei der DDSG" genommen haben. Miriam ist Jüdin. Dort, in Südfrankreich warten sie auf das rettende Visum nach Amerika. Bis zur dramatischen Szene, als Tante Frieda sich in Rage verplaudert, wissen die Kinder in Wien nicht, dass der Vater nie geplant hat, sie nach Frankreich nachzuholen. Die tagebuchähnlichen Briefe, die er ihnen schreibt, kommen nicht an. Nur für die LeserInnen formt sich aus seinen Texten ein Bild der Persönlichkeit und seiner zunehmend verzweifelten Lage in Frankreich. Es ist ein liebevoller Vater, der seine Kinder vermisst und ihnen heitere Geschichten aus seinem früheren Leben und die tristen Geschichten aus seinem heutigen Dasein als Flüchtling und Verfolgter erzählt.

Auch für Lili in Wien wird die Stimmung in der Schule bedrohlicher und härter. Dafür sorgt die neue Deutschlehrerin Dr. Hella Krantz, eine überzeugte Nationalsozialistin. Gustav Helmreich, der beste Freund des Vaters, ist der Sachwalter der beiden minderjährigen Mädchen, erteilt gratis Lateinunterricht, steckt ihnen Taschengeld zu und setzt sich bei den Behörden für sie ein. Hella Krantz wird ihm zum Verhängnis. Er verfällt der blonden Nazisse körperlich und verabscheut sich selbst dafür. Eines Tages, ohne Ankündigung, erhängt er sich in seinem Büro.

Das südfranzösische Montauban ist für viele Sozialdemokraten aus dem ehemaligen Österreich Zufluchtsort. (Lili und Marions Vater ist, wie er ihnen einmal schreibt, der sozialistischen Partei nie beigetreten.) Hier hat die Auslandsvertretung Österreichischer Sozialisten rund zweihundert ihrer Genossen untergebracht. Solange Montauban freie Zone im unbesetzten Frankreich war, war es ein Zentrum der Emigranten: Julius Deutsch und Friedrich Adler waren hier im Exil, der Schriftsteller Walter Benjamin, der Schriftsteller und Maler Bruno Schwebel und auch die Grazer Familie Kurzweil, deren Schicksal vor einigen Jahren im Jugendprojekt "Der Koffer der Adele Kurzweil" aufgearbeitet worden ist. Ein engagierter sozialistischer Bürgermeister tut, was er kann. 1942 werden die "Judengesetze" in Frankreich eingeführt. Über das Sammellager Drancy werden rund 200.000 in- und ausländische Juden in die Vernichtungslager deportiert.

Die Kinder gehen unverdrossen in die Oper und schaffen sich eine Parallelwelt aus Musik und der Verehrung für Sänger und Sängerinnen. Um an den hochverehrten Star Alfred Poell heranzukommen, verfassen sie anonym eine eigene Opernzeitschrift, die ihnen endlich zur heißersehnten Einladung zum Tee bei den Poells verhilft.

Es ist die düstere Ahnung dessen, was unweigerlich kommen wird, die die Lektüre von "Die Kinder gehen in die Oper" vorantreibt. Ein Text, der dem Bild des Nationalsozialismus eine weitere traurige Facette hinz e54 ufügt und sich nicht weglegen läßt, ehe man ihn nicht in einem Zug fertiggelesen hat.

Jede Literatur schöpft aus persönlichen Erfahrungen, das ist hinlänglich bekannt. Wie ist das bei Lida Winiewicz? Die biografischen Angaben lassen kaum Rückschlüsse zu: Geboren 1928 in Wien, Sprachen- und Gesangsstudium. Schriftstellerin, Übersetzerin, Dramatikerin, Autorin zahlreicher TV-Drehbücher für europäische Fernsehanstalten. Es sei ihr nicht darum gegangen, ihre Biografie zu schreiben, sagt Lida Winiewicz, aber es sei richtig, dass eines der Mädchen ihre eigene Geschichte verkörpere. Dokumente wie die Tagebuchseiten und Simon Levys Brief sind authentisch. Die Fassungslosigkeit über die Gleichzeitigkeit der Dinge aufzuzeigen, das war ihre Motivation. Und die bringt der Text deutlich zum Ausdruck.

Jedem Kapitel stellt die Autorin fugenartig einige, leicht variierte Zeilen nach - um abermals die Gleichzeitigkeit der Dinge aufzuzeigen, und den von niemandem aufgehaltenen Fortgang der NS-Vernichtungspolitik. Die erschütternde Faktizität der Vorbereitung, wie Lida Winiewicz meint: "Die Firma Degesch, Frankfurt, Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung mbH. entwickelt ein hochwirksames Giftgas auf Cyanidbasis und nennt das Produkt Zyclon B."

Dem vorangestellt sind jeweils die beiden Sätze: "Der Vater macht das Heft zu. Tante Frieda legt eine Patience."

Und danach: "Die Kinder gehen in die Oper."

Doch dann, es ist 1945, schreibt der Vater nicht mehr. Die Kinder gehen nicht mehr in die Oper. Die Oper hat den Betrieb eingestellt. Die Oper brennt. Und die Hefte des Vaters vermodern in einem französischen Keller.
Bemerkung Katalogisat importiert von: Deutsche Nationalbibliothek
Exemplare
Ex.nr. Standort
12289 DR.B, Win

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