Der Winter tut den Fischen gut : Roman

Weidenholzer, Anna, 2012
Bücherei Zams
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Medienart Buch
ISBN 978-3-7017-1583-1
Verfasser Weidenholzer, Anna Wikipedia
Systematik DR.E - Romane, erzählende Gegenwartsliteratur
Schlagworte Belletristische Darstellung, Erzählende Literatur, Frau, Lebenskrise, Arbeitslosigkeit
Verlag Residenz-Verl.
Ort St. Pölten
Jahr 2012
Umfang 237 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Anna Weidenholzer
Annotation Angaben aus der Verlagsmeldung



Der Winter tut den Fischen gut / von Anna Weidenholzer


Was haben Miranda July, Markus Werner und Wilhelm Genazino gemeinsam? Lesen Sie dieses Buch und Sie wissen es.Maria hat Zeit. So sitzt sie tagsüber oft auf einer Bank am Platz vor der Kirche, beobachtet das Treiben dort, ein Kommen und Gehen, Leute, die Ziele haben und wenig Zeit. Die arbeitslose Textilfachverkäuferin kennt sich mit Stoffen aus, weiß, was zueinander passt, was Schwächen kaschiert und Vorzüge betont. In ihrem Fall ist das schwieriger: Welcher Vorzug macht ihr Alter vergessen für einen Markt, der sie nicht braucht? Alt ist sie nicht, aber ihr Leben läuft trotzdem rückwärts, an seinen Möglichkeiten, Träumen und Unfällen vorbei: Otto, den sie im Gemüsefach vergisst, Walter, den Elvis-Imitator von der traurigen Gestalt, der sie zur Witwe macht, Eduard, der mit einer anderen aus der Stadt zurückkehrt, ihre kleinere Schwester, die sosehr Mutter ist, dass sie Maria wie ein Kind behandelt. In solchen Geschichten um solche Menschen, liebenswert in ihrer skurrilen Versponnenheit, entwirft Anna Weidenholzer ein Bild von einer Frau am Rande der Gesellschaft. Und das ist immer noch mitten im Leben.


Quelle: bn.bibliotheksnachrichten, Sabine Eidenberger
Im Ton wunderbar getroffene Schilderung von Leben und Alltag einer Frau, die in der Langzeitarbeitslosigkeit gefangen ist. (DR)

"Jetzt haben Sie die Freiheit, von vorne zu beginnen", so möchte Marias Chef ihr die Entlassung schmackhaft machen. Anna Weidenholzer beginnt Marias Geschichte von hinten, von Kapitel 54 bis Kapitel 1 erleben wir den Werdegang einer Langzeitarbeitslosen. Zwanzig Jahre hat Maria in einer Boutique gearbeitet, jetzt ist sie fast fünfzig, Witwe und arbeitslos. Natürlich weiß man, was man in einer solchen Situation zu tun hat, und Maria macht all das: aufs AMS gehen, Kontakt zu Freunden und Familie aufrechterhalten, sich einen neuen Alltag schaffen. Die neu gewonnene Freizeit sinnvoll nutzen. Wenn sich in diesem Roman "nicht viel tut", dann eben deswegen - im arbeitslosen Alltag gibt es nicht viel Action. Maria ist bemüht um Routine: anziehen, waschen, die Bettwäsche regelmäßig wechseln. Sie hat viel Zeit. Sie macht viele Gedankenexperimente: Was wäre geschehen, wenn sie an dieser oder jener Stelle in ihrem Leben etwas anders gemacht hätte, wenn Dinge anders gekommen wären?

So plätschert der Roman dahin, der Ton bleibt gleich, ganz egal, ob es gerade um einen Schicksalsschlag in Marias Leben geht oder um die Schilderung, wie sie sich morgens ankleidet. Das könnte langatmig werden, man taucht aber so völlig ein in die Lebenswelt Marias, dass man sich dem Tempo des Romans mühelos anpasst. Ein sehr gut aufgebauter und erzählter Roman, für den die Autorin merklich aufwändig recherchiert und mit Betroffenen gesprochen hat.


Quelle: Literatur und Kritik, Harald Klauhs
Wo es regnet und die Sonne scheint

Anna Weidenholzers kluger Roman "Der Winter tut den Fischen gut"

Herrenjahre" - so hieß Gernot Wolfgrubers epochemachender Roman von 1976. Er bildete gemeinsam mit Franz Innerhofers 1974 erschienenem Roman "Schöne Tage" eine fixe Bezugsgröße der sozialkritischen Literatur der Nach-68er-Ära. Diese fand 1988 ihr Ende mit dem Erscheinen von Christoph Ransmayrs Roman "Die letzte Welt", der in der deutschsprachigen Literatur einen ähnlichen Paradigmenwechsel einleitete wie ein Jahr später der Fall der Mauer in der Politik.

Wir schreiben das Jahr Zwanzig­zwölf. Unendlich lange zwei Jahrzehnte sind seither vergangen. Weder literarisch noch politisch ist die Welt heute dieselbe wie - sagen wir - 1984. Das ist nun in mancherlei Hinsicht eine literarische Jahreszahl. Nicht nur wegen George Orwell, sondern auch, weil in diesem Jahr ein Stern in die literarische Galaxis eintrat, der der österreichischen Literatur anno 2012 einen neuen Spin verpasst. Anna Weidenholzer heißt die in Linz geborene Autorin - und das klingt fast schon wie ein Name aus ihrem Debütroman "Der Winter tut den Fischen gut". Maria, Martha, Otto, Walter und ähnliche der Zeit enthobene Namen finden sich darin, nicht etwa Zoë oder Silke oder Charlotte. Anders als in der Ewigkeit sind Namen in der Literatur keineswegs Schall und Rauch. Maria hieß etwa die Frau von Wolfgrubers Protagonist Bruno Melzer. Es scheint, als wollte Anna Weidenholzer bewusst daran anknüpfen, wenn sie ihre Hauptfigur Maria nennt. Aus den "Herrenjahren" sind somit "Damenjahre" geworden. Ebenso wie jene sind aber auch diese endlose Lehrjahre. Denn Maria Beerenberger geht es heute kaum besser als vordem Bruno Melzer. Schon im Prolog malt sich die 48-jährige arbeitslose Textilfachverkäuferin ihr nächstes Job-Bewerbungsgespräch aus, und was sie dabei anders machen möchte als in den vorangegangenen Gesprächen der vergangenen eineinhalb Jahre. Tatsächlich erhöht das ihre Chancen, eine Stelle in dem Bereich zu finden, in dem sie sich auskennt und für den sie eine Leidenschaft mitbringt, nur marginal. Dass sie verschiedene Stoffe auf einen Blick zu unterscheiden weiß, dass sie jeder Kundin sofort sagen kann, was ihr steht und was nicht, dass sie von jedem Kleidungsstück die Temperatur kennt, mit der es gewaschen werden darf: das verbessert ihre Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht. Als sie auch noch einen Termin platzen lässt, weil sie zwar zu vielem bereit ist, aber partout keine Wurstverkäuferin werden will, streicht ihr das Amt das Arbeitslosengeld für sechs Wochen.

Mit wenigen, aber präzisen Strichen skizziert die Autorin die Gegenwart ihrer Hauptfigur. Die unterscheidet sich von den literarischen Figuren der sozialkritischen Literatur der siebziger Jahre in der Hauptsache dadurch, dass sie eine Frau ist. In den sozialen Gegebenheiten gibt es eine erstaunliche Kontinuität. Nicht nur Marias Name, auch die "Verhältnisse" sind immer noch so und wirken deshalb heute seltsam aus der Zeit gefallen. Abgesehen davon, dass sich die Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose inzwischen verschärft haben, könnte diese Szenerie genauso in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts spielen. Gegenüber den bei Literaturjurys heute so beliebten Romanen, die die schweren Schicksale wohlstandsverwahrloster Jugendlicher in der deutschen Provinz beschreiben, nimmt sich eine entlassene alternde Verkäuferin aus dem Alpenland doch recht altmodisch aus. Hat sich also nichts geändert? Oh ja: Maria wird zum Beispiel von ihrer Bankberaterin angerufen und befragt, wie zufrieden sie mit den Leistungen der Bank ist. Dass Maria diese mangels Geld gar nicht in Anspruch nehmen kann, charakterisiert den Zynismus der heutigen Zeit.

Das soziale Setting hat sich also wenig geändert. Was anders geworden ist, ist die Art und Weise, darüber zu schreiben. War im vorigen Jahrhundert die Anklage die adäquate Antwort auf Ausbeutung und Arbeitslosigkeit, so hat sich heute alles anonymisiert. Niemand hat schuld am Schicksal Marias, sie selbst nicht, auch nicht die Gesellschaft oder bestimmte Menschen, die ihr übel wollen. Auch Herr Willert, Marias Arbeitgeber, der sie kündigt, ist kein böser Kapitalist, dem es nur um Gewinnmaximierung geht, sondern selbst ein Getriebener von nicht greifbaren Mächten. Der Sieg des Bösen besteht darin, nicht mehr namhaft gemacht werden zu können. Mit der Anonymisierung der Schuldfrage erklärt die kluge Autorin indirekt den starken Drang zur Personalisierung in der Politik. Es ist die (ebenso verständliche wie vergebliche) Sehnsucht der Menschen, in Zeiten, in denen niemand verantwortlich und in denen alles Tun angeblich alternativlos ist, jemande 2000 n haftbar zu machen für ihr Schicksal. Solchen Hoffnungen erteilt Anna Weidenholzer durch die Konstruktion ihres Romans jedoch eine Absage. Dessen Clou ist nämlich, dass er rückwärts erzählt wird. Das ist natürlich ein bekanntes literarisches Verfahren. Doch so wie die Autorin es hier anwendet, wirkt es durchaus neu.

Mit der Methode des Rückwärtserzählens lässt sie den Leser unmittelbar Anteil haben an der Form eines Bewerbungsgesprächs beziehungsweise an den Interviews, die sie zur Recherche für diesen Roman mit arbeitslosen Frauen geführt hat. In beiden Fällen sitzt ein Interviewer erst einmal einem ihm unbekannten und mehr oder weniger sympathischen Menschen gegenüber, von dem er nur weiß, dass er zurzeit beschäftigungslos ist. Über die Gründe dafür und die lebensgeschichtliche Entwicklung dieses solcherart stigmatisierten Menschen erfährt er - so er will - im Verlauf des Gesprächs. Nach und nach erschließt sich die Biografie eines Menschen. Auf diese Weise rollt Weidenholzer die Geschichte der Maria Beerenberger in prägnanten Szenen auf bis hin zum Zeitpunkt der Geburt ihrer Schwester. Da kann Maria gerade einmal lesen und liest auf einer Karte ihres Onkels: "Ich bin immer noch hier, wo es regnet und manchmal die Sonne scheint." Besser hätte sie den Verlauf ihres Lebens nicht zusammenfassen können. Und so endet das Buch mit dem Anfang: mit der Wiederkehr des Immergleichen. Man muss sich Sisyphos eben als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Wer aber das Glück des Absurden nicht zu empfinden vermag, der sucht es in irrationalen Heilslehren. Auch das zeigt Weidenholzer an einem der vielen stimmigen Details dieses Romans. Wenn Veronika, Marias Freundin, ihr erklärt, "das Leben gibt einem Prüfungen auf, und wenn man diese Prüfungen besteht, tritt man in eine neue Dimension ein", dann erinnert das sehr an die Heilsversprechen der "Scientology Church". Man müsse nur richtig wünschen lernen, so Veronika, denn "wenn du etwas wirklich möchtest, bekommst du es". Es gelte nur, die richtigen Fragen an das Universum zu stellen. Wie bestelle ich richtig beim Universum, fragt sich Maria, denn Veronika erzählt natürlich nicht konkret, welche Prüfungen sie wie bestanden hätte. Und bedauerlicherweise ist das Universum ein wenig begriffsstutzig und versteht deshalb Negationen nicht. Sollten die Bestellungen also nicht einlangen, liegt es an der Form der Bestellung, also am Besteller selbst, dass es nicht geklappt hat. Und Sisyphos rollt wieder.

Nichts hat sich geändert, sagt an einer Stelle Marias Betreuerin beim Arbeitsamt. "Alles beginnt von vorn, am Ende der Anfang, das Ende, der Anfang, man kann es sehen, wie man möchte", denkt Maria und legt damit das poetologische Programm Anna Weidenholzers offen. Denn in dieser Kreisbewegung zeigt sich doch ein entscheidender Unterschied zur so­zialkritischen Literatur des vorigen Jahrhunderts.

Es geht nicht mehr (nur) vorwärts. Die (beengten und beengenden) Verhältnisse sind kein Anlass mehr, mit einem gewissen Pathos zum Auf- und Ausbruch aufzurufen. Maria will nicht kaputtmachen, was sie kaputtmacht, sondern möglichst fit für das System werden. Die permanente Selbstoptimierung ("Machen Sie konsequent, systematisch, parallel, schnell und viel") erweist sich allerdings erst recht als Laufrad, auf das mit Unvernunft (Wünschen an das Universum) reagiert wird. Wo aber alles (scheinbar) durchrationalisiert ist, wächst das Irrationale auch - und zwar exponentiell.

Weidenholzer macht also Mechanismen deutlich, nicht Verhältnisse. Die Chancen auf Verbesserung der Lebensverhältnisse haben sich für Menschen mit Marias Biografie so gut wie nicht verändert, aber das Lebensgefühl. Dieses heutige Gefühl der Unveränderlichkeit und damit Zeitlosigkeit drückt die verschmitzte und gewitzte österreichische Autorin nicht nur in der Romankonstruktion aus, sondern auch dadurch, dass sie sämtliche Accessoires der Jetztzeit weglässt, das Geschehen auf das Wesentliche reduziert und auf jegliche Modewörter verzichtet. Auf diese Weise belebt und erneuert Anna Weidenholzer mit ihrem Debütroman die Tradition der sozialkritischen Literatur.


Quelle: Pool Feuilleton
Vielleicht ist das Leben nur ein Auszählreim, durch den man eines Tages ohne Kommentar aus dem Leben ausgeschlossen wird.

Maria Beerenberger, die Hauptfigur in Anna Weidenholzers Roman "Der Winter tut den Fischen gut", ist schwer angezählt. Aus diesem Grund beginnt der Roman mit dem vorläufigen Ende, die Protagonistin ist nach treuen Jahren Arbeit in einem Textilgeschäft gekündigt worden, "sie konnte nicht mehr gehalten werden".

Jetzt sitzt sie so gut es geht auf einer Bank vor der Kirche und beobachtet Wetter und Hunde, Rentner und andere Zeitlose, manchmal kommt ein unverschämt glücklich lachendes Hochzeitspaar aus der Kirche heraus.

Maria Beerenberger wohnt im Tiefparterre, hat immer wieder Termine beim Arbeitsamt und ist vor allem erstaunt, mit welch hohlen Sätzen dieses Gesellschaftsgefüge zusammengehalten wird. In der Welt der Arbeitslosigkeit wimmelt es nur so von schön designten Begriffen, die letztlich nur bedeuten, dass das das Spiel um die Arbeit beendet ist und sich die Arbeitssuchende selbst eine neue Welt organisieren soll.

Im Roman wird von Kapitel vierundfünfzig an abwärts gezählt bis zur Kindheit, wo das Leben noch unverbraucht und voller Hoffnung ist. Es gibt eine kleine Liebe, die zu einer unauffälligen Ehe führt, bis der Mann stirbt. In der Arbeit ist vor allem die soziale Kompetenz von Nutzen, die Kunden werden liebevoll mit dem neuen Gewand vertraut gemacht.

Manchmal ist es auch nur ein Gefühlsausbruch, der das Leben in vorher und nachher gliedert.

"29 / Manchmal // Es gibt Tage, an denen man sich wünscht, es wäre jemand hier, der einen über den Kopf streicht. Egal wie schmutzig die Hände sind, Hauptsache, sie sind groß." (127)

Die Heldin entwickelt mit der Zeit eine Gelassenheit, mit der sie die Erlebnisse erträglich zu gestalten versucht. Die im Volksmund abfällig gebrauchte Fügung, das ist für die Fische, wird zu einem Überlebensmotto: Der Winter tut den Fischen gut. Vielleicht rettet diese Kälte auch die Ausgestoßenen vor dem Erfrieren.

Anna Weidenholzer entlässt ihre Hauptfigur voller Empathie, Lebenserfahrung und Abgeklärtheit in den Text. Als Leser ist man stumm wie ein Fisch im Winter, weil jeder Satz nur eine Verhöhnung des Schicksals der Protagonistin wäre. Dabei ist die Welt voll von Figuren wie Maria Beerenberger, sie leben in einer Anti-Welt des Wirtschaftsglanzes mitten unter uns.

Helmuth Schönauer
Bemerkung Katalogisat abgeglichen mit: Deutsche Nationalbibliothek
Exemplare
Ex.nr. Standort
6639 DR.E, Wei

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