Fremde Seele, dunkler Wald : Roman

Kaiser-Mühlecker, Reinhard, 2016
Bücherei Zams
Verfügbar Ja (1) Titel ist in dieser Bibliothek verfügbar
Exemplare gesamt 1
Exemplare verliehen 0
Reservierungen 0Reservieren
Medienart Buch
ISBN 978-3-10-002428-2
Verfasser Kaiser-Mühlecker, Reinhard Wikipedia
Systematik DR.E - Romane, erzählende Gegenwartsliteratur
Schlagworte Fiktionale Darstellung, Erzählende Literatur: Gegenwartsliteratur ab 1945, Vater, Sohn, Bauernhof, Spekulation, Konflikt, Bruder, Soldat, Oberösterreich
Verlag S. Fischer
Ort Frankfurt am Main
Jahr 2016
Umfang 300 Seiten
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Reinhard Kaiser-Mühlecker
Annotation Angaben aus der Verlagsmeldung



Fremde Seele, dunkler Wald : Roman Kaiser-Mühlecker, Fremde Seele, dunkler Wald / von Reinhard Kaiser-Mühlecker


Reinhard Kaiser-Mühlecker schreibt die Geschichte zweier Brüder und ihrer Heimat in Oberösterreich ein mit biblischer Wucht erzählter Roman um Missverständnisse, Tötungen, Familientragödien und Befreiungsversuche.

Alexander kehrt von seinem Auslandseinsatz als Soldat internationaler Truppen in die Heimat zurück. Seine Unruhe treibt ihn bald wieder fort. Sein jüngerer Bruder Jakob führt unterdessen den elterlichen Hof. Als sich sein Freund aufhängt, wird Jakob die Schuldgefühle nicht mehr los. Der Vater fabuliert von phantastischen Geschäftsideen, während er heimlich Stück für Stück des Ackerlandes verkaufen muss. Mit großer poetischer Ruhe und Kraft erzählt Reinhard Kaiser-Mühlecker von den Menschen, die durch Verwandtschaft, Gerede, Mord und religiöse Sehnsüchte aneinander gebunden sind. Es ist die Geschichte zweier Brüder, die dieser Welt zu entkommen versuchen eine zeitlose und berührende Geschichte von zwei Menschen, die nach Rettung suchen.


Quelle: bn.bibliotheksnachrichten, Michael Wildauer
Zwei Brüder versuchen, ihr Leben zu bewältigen. (DR)

Kaiser-Mühlecker ist ein Schriftsteller, der schon einige Preise und Stipendien erhielt. Das merkt man sofort an der Sprache, die ist präzise und hat einen guten Wortschatz. Wer endlich wieder exzellentes Deutsch lesen will und nicht Umgangssprache mit Anbiederung an die Jugendsprache oder Dialektelementen, um uriger zu wirken, der wird seine Freude an diesem Roman haben. Zum Inhalt: Alexander und sein jüngerer Bruder Jakob werden auf einem Bauernhof groß. Während Alexander beim Bundesheer Karriere macht, jobbt Jakob beim Maschinenring. Alexander hat Probleme mit Lilo, der Liebe seines Lebens, während Jakob eine eigenartige Beziehung mit Nina eingeht. Und da ist dann noch die seltsame Elvira, deren Leben wie ein roter Faden die Geschichte durchzieht.

Es wird ganz klassisch erzählt, meist kapitelweise abwechselnd von dem einen oder dem anderen Bruder. Obwohl rund um Elvira eine Kriminalgeschichte gebaut ist, sollte man nicht auf eine Lösung oder ein Ende warten, sondern einfach den beiden Charakteren folgen. "Du weißt ja, eine fremde Seele ist wie ein dunkler Wald", zitiert der Autor Turgenjew und erklärt damit den Buchtitel und seine Schreibabsicht. Für anspruchsvolle LeserInnen sicher interessant.


Quelle: Literatur und Kritik, Gerhard Zeillinger
Weder Heimat- noch Anti-Heimatroman

Ein wenig rätselhaft: Kaiser-Mühleckers »Fremde Seele, dunkler Wald«

Es ist Kaiser-Mühleckers mittlerweile sechster Roman, das Grundmuster ist dasselbe, es wurzelt geradezu in der Scholle, im Mythos Hof. Ein Bauernroman ist es aber dennoch nicht. Das »Land« als scheinbar autochthones, in sich geschlossenes Territorium ist kein Ort der Rückständigkeit, vielmehr macht es den Konflikt der Identität mit der Moderne sichtbar. Der Vater, der eigentlich den Hof führen sollte, tourt immer wieder durch Europa, verliert mit dubiosen Geschäften jedes Mal ein Stück mehr vom über Generationen ererbten Land. Jeder weitere Acker, den er verkaufen muss, ist sinnbildlich auch ein Abschied vom Althergebrachten. Für die »Tradition« stünde eigentlich der Großvater – aber seltsam, obwohl in der Familie die patriarchale Kraft, beobachtet er nur die Entfremdung. Kein Wunder, dass er als Figur überflüssig wird und während des Romans stirbt.

Auch seine Enkelsöhne, die beiden Brüder Alexander und Jakob, passen nicht mehr in dieses Territorium, auch wenn sich die Wurzeln nicht abschlagen lassen. Der Ältere, Alexander, hat sich schon lange auf den Weg gemacht, ist beim Bundesheer gelandet und hat sich zu Auslandseinsätzen gemeldet. Wir erleben ihn am Anfang als KFOR-Soldat im Kosovo, allerdings wechselt er bald vom Krisengebiet an den Schreibtisch im Generalstab. Glücklich wird er dabei nicht, die Beziehung mit der Frau seines Vorgesetzten gerät ihm schnell zum Lebensschmerz. Der jüngere Bruder, zu Beginn des Romans fünfzehn, ist eigentlich der, der den Hof der Familie führt, mit Leidenschaft, nur ist abzusehen, dass das nicht auf ewig sein wird. Und dazu kommt es auch bald. Jakob verdient nun sein eigenes Geld beim »Maschinenring«, wo Bauernsöhne eben Arbeit finden, wenn sie außerhalb des Hofs Arbeit suchen. Aber auch das bleibt nur eine Zwischenetappe wie die kurze Lebensgemeinschaft mit Nina. Wie sein Bruder Alexander findet Jakob nicht in die richtige Lebensbahn, wie den Älteren plagt auch ihn die schleichende Unbehaustheit des Lebens.

Was auf den ersten Blick ein Familienroman um zwei Brüder ist, scheint vielmehr eine mythische Skizze gesellschaftlicher Umbrüche und existenzieller Nöte zu sein: Hier scheitern schließlich alle mit ihren Lebensentwürfen und nicht nur an den Verhältnissen. Da gibt es ja auch noch eine Schwester, eigentlich in Schweden verheiratet, aber eines Tages steht sie mit ihrem Kind vor der Tür und zieht wieder auf dem Hof ein. So wie Jakob, der ja auch wieder zurückkommt. Schließlich will er Bauer sein, aber das gelingt nicht, weil vom elterlichen Hof nichts bleibt und sein Plan, sich selbst einen Hof zu kaufen, daran scheitert, dass ihm die Großmutter nichts vom hinterlassenen Vermögen des Großvaters gibt. Also Geld wäre eigentlich da, warum muss dann alles vor die Hunde gehen? Man wüsste gerne mehr, auch warum die Großmutter das Vermögen am Ende »den Rechten« vermacht, weil es ja von dort auch einmal gekommen sei. Was ist damit gemeint? Nazi-Geld? Und warum schreibt der Autor nicht gleich FPÖ?

So geht es in dem Roman eigentlich ständig: etwas wird in den Raum gestellt, zum Beispiel ein zurückliegender Mordfall – aber was der mit dieser Geschichte, mit der Familie, mit den Brüdern zu tun hätte, darüber teilt uns der Autor nichts mit. Es bleibt bei einem Zeitungsausschnitt, der unterschwellig für Unruhe sorgt. Genauso wenig erfährt man auch über den Selbstmord von Jakobs Freund, obwohl der Autor den Leser wissen lässt, im Dorf könnte man glauben, dass Jakob damit zu tun haben könnte. So viel Konjunktiv, der nur nicht zum Erlebnis wird. Wozu, fragt man, setzt der Autor einen auktorialen Erzähler ein, wenn er den Leser dann gar nicht an allem teilhaben lässt? Da wird einfach so oft nicht weitererzählt, dass man sich fragt, warum man überhaupt damit konfrontiert wird. Zu vieles bleibt im Rätselhaften und wird nur angerissen. Nicht dass die Dinge erklärt werden müssten, aber wenn etwas abgründig erscheinen soll, dann sollte man zumindest wissen, warum. Dieses Ausbleiben der Erzählung auf das Schweigen der dörflichen Gesellschaft zurückzuführen – selten wird in Romanen tatsächlich so wenig geredet wie hier –, genügt nicht, wenn dieses Schweigen keinen nachvollziehbaren Grund hat.

Unbestritten aber bleibt das Spannungsverhältnis: Da ist viel Bruch in der Skizze. Wie eine Mischung aus Anzengruber und griechischer Tragödie erscheint Kaiser-Mühleckers Literatur, stilgerecht dazu die »altertümliche«, scheinbar dem 19. Jahrhundert entsprungene Sprache. Diese wird ihm entweder vorgeworfen oder bewundernd bestätigt. Kein Wunder, könnte man dann sagen, dass das Peter Handke gefällt – siehe dessen Blurb, der Kaiser-Mühlecker mit Stifter und Hamsun vergleicht: da sei er »ein Dritter«. Schön und gut, aber aufgepasst, wir leben im 21. Jahrhundert! Auch dass da einer beharrlich schreibt, als hätte es Thomas Bernhard un 1c4c d Josef Winkler nie gegeben, überrascht. Vielleicht aber wäre Kaiser-Mühleckers Literatur nur die zeitgemäße Populärvariante all dieser Autoren, in einer Art Handke-Stil sprachlich aufgemischt. Das Ergebnis, wenn schon, wäre übrigens weniger altertümlich als behäbig und bemüht.

Auffallend, nicht nur in diesem Buch, ist die Distanz, ja Ablehnung des urbanen Raums. Als Alexander, der ältere Bruder, seinen Dienst beim Generalstab in Wien antritt, hält er es in der Großstadt nicht lange aus und zieht in ein Dorf zwanzig Kilometer außerhalb. Seinem Bruder Jakob geht es in der Zeit, die er mit Lebensgefährtin und Kind in einer Wohnung verbringt, nicht viel anders. Er will am liebsten Bauer sein, und das heißt »draußen« sein. »Wie ein Gefängnis ist mein Leben« ist nicht zuletzt auch in diesem Zusammenhang ein signifikanter Satz. Andererseits kann man dem Autor die Provinz nicht zum Vorwurf machen: Andere schreiben nur von der Stadt. Hier ist Kaiser-Mühlecker geradezu ein Antipode von Thomas Glavinic. Und dass es in seinen Büchern immer wieder schöne Landschaftsbeschreibungen gibt, muss nicht das Kainsmal konventioneller Literatur tragen.

Selbst wenn man bei dem Autor überall die Referenz des ›Heimatlichen‹ ausmachen will, so abwegig ist das alles ja nicht: Der Heimat-Revival in unserer Gesellschaft ist nicht wegzuleugnen, den »Mut« dazu beschwört und schreibt sich ja nicht nur eine rechte Partei auf ihre Fahnen (die, die im Roman vermutlich das hinterlassene Vermögen des Großvaters erbt), das reicht mittlerweile tief in alle Schichten: So viel wiederentdecktes Rotweißrot, so viel Berge, so viel Trachtenanzug, so viel Wallfahrt war schon lange nicht mehr. Für dieses scheinbar gesellschaftsumfassende Phänomen kann Kaiser-Mühlecker nichts. Die Provinz als Projektion und Abgrund war lange vor ihm schon ein einträglicher Stoff. Die Frage, ob er sie wieder aus ihrem Dämmerzustand hervorgeholt hat oder das alles mittlerweile Mainstream ist, hilft nur bedingt weiter. Vielmehr müsste man fragen, ist es wirklich so?

Was im Zusammenhang stören kann, sind aber falsche Details dieser ›Heimat‹, die einfach nicht in ihre Landschaft passen, im Gegenteil, aber wohl dem Lektorat des Fischer-Verlages geschuldet sind: »ein Paar Würste« ist so lächerlich unösterreichisch, dass es diese Art von Literatur geradezu ins Eingemachte trifft. Auch dass in einem Wirtshaus mitten in der oberösterreichischen Provinz ein »Postbote« sitzt, tut einigermaßen weh. Und wenn wir schon dabei sind: Ein »Postauto« ist etwas anderes als das Auto, mit dem der Briefträger auf dem Land die Post bringt.

Solche Kleinigkeiten sollen aber der hier beschriebenen Provinz nichts an Symbolkraft nehmen. In dem Roman, und das scheint ja auch gelungen, geht es schließlich darum, dass die gefügte Welt gehörig auseinanderbricht. Das kann man dann ruhig als Angriff auf den Topos Heimat verstehen, auf die scheinbar heile ländliche Welt. Kürzlich wurde der Hauptdarsteller der offenbar immer noch sehr beliebten TV-Serie »Bergdoktor« gefragt, was für ihn Heimat bedeute. Seine Antwort »wo mein Herz zu Hause ist« trifft auf Kaiser-Mühleckers weder Heimat- noch Anti-Heimatroman wohl kaum zu. Da wird schon eher der erste Titelbegriff »Fremde Seele« verständlich, auch wenn dieser Romantitel »Fremde Seele, dunkler Wald« schon einigermaßen kitschig anmutet. Dabei ist ja der Roman genau so: fremd und dunkel, und zwar seelisch. Trotzdem, so bieder-selbstgestrickte Romantitel – und da nützt auch nicht die Entlehnung aus einem Turgenjew-Zitat – hätte es noch vor zehn Jahren bei S. Fischer nicht gegeben. Wobei unklar bleibt: Passt sich die Literatur dem Marketing oder das Marketing der Literatur an?

Am Ende läuft sowieso alles im Destruktionsmodus – und dass er diesen beherrscht, hat Kaiser-Mühlecker schon 2014 in seinem Roman Schwarzer Flieder unter Beweis gestellt, wo er seinen Protagonisten auf den elterlichen Hof zurückkehren lässt, um den Hof zu zerstören, das Familienerbe auszulöschen. Das hört sich dann reichlich nach Thomas Bernhard an – allerdings so weit kommt es hier nicht. Zwar besucht Jakob, als auch er immer unsicherer wird, plötzlich »Andachten« einer Bibelrunde, um sich in eine Struktur zu flüchten. Oder eher, sich darin zu verfestigen, wird sie doch von Schuld und Sühne beherrscht. Ja, so konstruiert man offenbar auch im 21. Jahrhundert ›richtige‹ Romane, umso mehr wenn die angestammte ursprüngliche Welt immer mit der Welt draußen im Konflikt steht.

Auch so gesehen schreibt Kaiser-Mühlecker nah an der gesellschaftlichen Realität, ob wir die nun postmodern bezeichnen mögen oder nicht – passend jedenfalls zum Literaturbetrieb und zum Deutschen Buchpreis, auf dessen Shortlist es der Roman im Herbst 2016 gebracht hat. Das sichert das Ranking in den Bestsellerlisten. An Vorauseilendem, Innovation genannt, ist nur nichts auszumachen. Gut ist es trotzdem, denn Qualität wird längst anders gemessen: Gerade weil Kaiser-Mühlecker nicht experimentiert und diesen ›gediegenen‹ Stil pflegt, weil man seine Romane also ›einfach so‹ lesen kann, sind sie vermutlich so erfolgreich.
Bemerkung Katalogisat abgeglichen mit: Deutsche Nationalbibliothek
Exemplare
Ex.nr. Standort
10397 DR.E, Kai

Leserbewertungen

Es liegen noch keine Bewertungen vor. Seien Sie der Erste, der eine Bewertung abgibt.
Eine Bewertung zu diesem Titel abgeben