Und alle so still : Roman

Fallwickl, Mareike, 2024
3 Sterne
Bücherei Zams
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Exemplare gesamt 1
Exemplare verliehen 1 (voraussichtl. bis 06.08.2024)
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Medienart Buch
ISBN 978-3-498-00298-5
Verfasser Fallwickl, Mareike Wikipedia
Systematik DR.E - Romane, erzählende Gegenwartsliteratur
Schlagworte Gesellschaftsroman, Erzählende Literatur: Gegenwartsliteratur ab 1945, Deutsche Literatur, Gesellschaft, Gegenwartsliteratur, Feminismus, Gesellschaftskritik, Geschenke für Frauen, Kapitalismus, Romane für Frauen, Zeitgenössische Literatur, Inklusion, Bücher für Frauen, anspruchsvolle Literatur, Roman Frauen, Kapitalismuskritik, deutsche Romane, Prekariat, Gesellschafsroman, Das Licht ist hier viel heller, Dunkelgrün fast schwarz, feministische Literatur, Bücher Frauen, Care-Arbeit, moderne Literatur, moderner Roman, Kleine Geschenke für Frauen, Romane Neuerscheinungen 2024, Bücher Literatur, Die Wut, die bleibt, Gesellschaftskritischer Roman, Bücher Neuerscheinungen 2024, Feminismus Bestseller
Verlag Rowohlt
Ort Hamburg
Jahr 2024
Umfang 368 Seiten
Altersbeschränkung keine
Auflage 2. Auflage
Sprache deutsch
Verfasserangabe Mareike Fallwickl
Annotation Ein großer feministischer Gesellschaftsroman über Widerspruchsgeist und Solidarität

An einem Sonntag im Juni gerät die Welt aus dem Takt: Frauen liegen auf der Straße. Reglos, in stillem Protest. Hier kreuzen sich die Wege von Elin, Nuri und Ruth. Elin, Anfang zwanzig, eine erfolgreiche Influencerin, der etwas zugestoßen ist, von dem sie nicht weiß, ob es Gewalt war. Nuri, neunzehn Jahre, der die Schule abgebrochen hat und versucht, sich als Fahrradkurier, Bettenschubser und Barkeeper über Wasser zu halten. Ruth, Mitte fünfzig, die als Pflegefachkraft im Krankenhaus arbeitet und deren Pflichtgefühl unerschöpflich scheint.

Es ist der Beginn einer Revolte, bei der Frauen nicht mehr das tun, was sie immer getan haben. Plötzlich steht alles infrage, worauf unser System fußt. Ergreifen Elin, Nuri und Ruth die Chance auf Veränderung?

ORF Topos, 20.4.24
Magdalena Miedl
Zornige Dystopie: Wenn Frauen sich verweigern

Der mit Spannung erwartete vierte Roman von Mareike Fallwickl ist eine zornige Dystopie: Entlang von drei Figuren entwirft die Salzburger Autorin ein Fantasieszenario, das der Gegenwart zum Verwechseln ähnlich sieht, in dem aber erschöpfte Care-Arbeiterinnen – Krankenpflegerinnen, Putzfrauen, Mütter – die Arbeit und sich selbst einfach niederlegen. Kann es danach weitergehen?

Sie schreibt Bücher mit drängender Botschaft, solide recherchiert, mit einem modernen, Salzburgerisch geprägten Sound, emotionaler Fallhöhe und atemlos nah an den Ungerechtigkeiten der Wirklichkeit. Nun ist der vierte Roman von Mareike Fallwickl erschienen, nach dem fulminant erfolgreichen „Die Wut, die bleibt“.

Auch „Und alle so still“ enthält Zündstoff mit dem Potenzial zum Flächenbrand: Die normschöne Influencerin Elin, der junge Gig-Economy-Hackler Nuri und die Krankenpflegerin Ruth sind die drei Figuren, aus deren sich teils überschneidenden Perspektiven Fallwickl ein drastisches Szenario entwirft, das in eine gesellschaftliche Katastrophe mündet – und aus der es nur einen Ausweg geben kann.

„Und alle so still“ beginnt zunächst ruhig, im durchorganisierten Alltag von Elin, in dem sie zwischen den Likes, die ihr Geld bringen, und den Hassbotschaften, die im Leben einer öffentlichen Frau wie eine unvermeidliche Naturerscheinung sind, zu manövrieren versucht. Elin ist Tochter einer sogenannten Powerfrau, die immer alles richtig machen will, ihrem Kind Unabhängigkeit, feministisches Vokabular und Distanz zu allen Männern beigebracht hat. Doch es reicht nicht.

Variationen von Totalverweigerung
Dieser Anfang erfordert etwas Geduld, ganz anders als der Paukenschlag im Vorgängerroman „Die Wut, die bleibt“, wo eine Frau, Mutter von drei Kindern, zermürbt jenseits aller Toleranzgrenzen, schon auf der ersten Seite die Konsequenz zieht und sich aus dem Spiel nimmt – mit einem Suizid.

Im Nachfolgebuch sieht die Totalverweigerung anders aus, und hat viel weitreichendere Auswirkungen als nur auf eine einzige Familie. Fallwickl schildert, wieder im vertrauten Umfeld der ungenannten mittelgroßen Stadt Salzburg, das Panorama einer Gegenwart, die sich zunächst anfühlt wie die Realität.

Systemzusammenbruch
„Ich habe mit so vielen Menschen über Care-Arbeit und die Überlastung der Frauen gesprochen“, sagt sie im Topos-Interview, „und es gab in all diesen Gesprächen immer einen Satz, der wie ein Totschlagargument am Ende stand, auf die Frage hin, was passiert, wenn die Frauen nicht mehr können. Irgendjemand sagte dann immer: Ohne Care-Arbeit bricht das System zusammen.“

„Ich hab mir aber gedacht: Ich will, dass dieser Satz der Anfang ist. Ich will wissen, was bedeutet das? Wo fängt es an zu bröckeln, wer merkt es als Erstes, wie schnell geht das? Ich finde es unglaublich interessant, dass Literatur so was kann: dass man sich Dinge ausdenken und durchdeklinieren kann, die in der Realität nicht oder noch nicht passieren.“


Strukturelle Probleme im Spital
In „Und alle so still“ hat jede der drei Hauptfiguren ein ganzes Bündel intersektionaler Erfahrungen zu vertreten (mehr dazu im Topos Podshort), von Rassismus über sexuelle Gewalt bis Ableismus, was gelegentlich überfrachtet wirkt, zugleich aber dem Anspruch auf Genauigkeit entspricht, den Fallwickl an ihre Versuchsanordnung stellt.

Neben Elin, die zur Unabhängigkeit erzogen wurde, ist da der 19-jährige Nuri, ein Bursch mit migrantischen Wurzeln, der drei Jobs jongliert, als Barkeeper und Putzperson in einem Nachtlokal, als Aushilfspfleger in einem Spital und als Essensbote. Er ist Bauernopfer einer eskalierenden Bequemlichkeitsgesellschaft, die nur funktioniert, wenn die Dienenden schlecht bezahlt sind.

Die Mittfünfzigerin Ruth ist die dritte, eine Krankenpflegerin, die auf einer strukturell in allen Fugen ächzenden Intensivstation arbeitet, von den ihr vorgesetzten Ärzten abschätzig behandelt – „Sie können ja gehen, jeder ist ersetzbar“ –, und die doch weitermacht, denn wenn sie es nicht tut, bleiben die Patienten im eigenen Urin liegen – oder Schlimmeres.

Galoppierende Realität
Diese drei sind zunächst nur Zeugen, wie Frauen wie auf ein geheimes Signal hin ihre Arbeitsplätze verlassen und sich auf den Boden legen, vor entscheidenden Institutionen wie Spitälern, Gerichten, Polizeistationen. Fallwickl erfindet jedoch keinen Ruf der Natur, keinen metaphysischen Eingriff, keine Organisation und keinen Streik, der diese Frauen zum passiven Widerstand bringt, sie lässt den Anlass offen, und er ist auch egal, denn der Grund ist klar: Es ist zu viel.

„Ich hab mich gefragt, was wäre, wenn alle Frauen sich verweigern würden, wenn sie nichts mehr tun würden, gar nichts“ – aus diesem Satz, den die Protagonistin Lola in „Die Wut, die bleibt“ formulierte, entwickelte Fallwickl die Idee zu ihrem neuen Buch, wie sie sagt. Beeinflusst hat ihr Schreiben dabei aber auch die Wirklichkeit.

„Ich hatte während des Schreibens oft das Gefühl, dass die Realität neben mir her galoppiert, ständig gab es Berichte weltweit von Fällen, in denen Frauen gemeinsam protestiert haben“, sei es die Frau-Leben-Freiheit-Bewegung im Iran, ziviler weiblicher Protest in Afghanistan oder die 4B-Bewegung junger, von den Männern enttäuschter Frauen in Südkorea.

Die Zeit des Wegduckens ist vorbei

„Die Zeit, wo Frauen sich immer nur wegducken, ist vorbei, das ist der eine Punkt. Und der andere ist, dass wir wissen, gewaltfreier Protest ist doppelt so erfolgreich wie gewaltsamer Protest“, so Fallwickl, die in diesem Zusammenhang auf Friedemann Karigs Buch „Was ihr wollt. Wie Protest wirklich wirkt“ verweist.

Doch wie in der Wirklichkeit wehrt sich auch in „Und alle so still“ das System – zum einen in Gestalt aggressiver Männer, die innerhalb weniger Stunden und Tage mit Zorn reagieren auf die Frauen, die ihre körperliche Kraft nicht mehr zur Verfügung stellen, und zum anderen auch mit staatlichen Repressionen. „Ich glaube, dass diese Reaktion einfach zwingend logisch wäre. Wenn ich also mit so einem Szenario anfange, dann muss ich es auch zu Ende denken.“

Politische Literatur
„Und alle so still“ ist aktivistische Literatur, und dabei nicht immer elegant – ein Roman, der seine Schrauben und Drähte und Schweißnähte nicht verbirgt, der spürbar solide recherchiert ist, noch deutlicher als schon „Die Wut, die bleibt“, mit soziologischem Unterfutter, der viel gemein hat etwa mit Franziska Schutzbachs „Die Erschöpfung der Frauen“. Fallwickl v 1442 erweist im Nachwort auf Schutzbach ebenso wie auf Gertraud Klemm.

Diese Recherche gießt sie in eine dystopische Romanhandlung, mit dem Anspruch, das gesamtgesellschaftliche Problem nicht nur darzustellen, sondern auch weiterzudenken, über einen möglichen Systemzusammenbruch hinaus.

In mehr als nur einer Hinsicht ist das Buch darin eine Fortsetzung von „Die Wut, die bleibt“, das nach seinem Erscheinen 2022 zunächst weniger bei der Literaturkritik als bei den Leserinnen gewaltiges Echo ausgelöst hatte, weil Fallwickl sehr genau aufschrieb, wo es krankt am System, das grob der Hälfte der Bevölkerung zur Bequemlichkeit gereicht.

Festspielblockbuster
Bei den Salzburger Festspielen wurde die „Wut“ in der Inszenierung von Jorinde Dröse unter großem Beifall aufgeführt. Nun ist ein Filmprojekt auf Basis des Stoffs in Entwicklung. Als Regisseurin ist die erfolgreiche „Tatort“- und „Landkrimi“-Regisseurin Catalina Molina involviert, Stefanie Reinsperger arbeitet am Drehbuch mit und will die Hauptrolle übernehmen, sagt Fallwickl: „Der Plan wäre, sofern es jetzt alles durchgeht, dass 2025 gedreht werden kann“.

„Die Wut, die bleibt“ zeigte ganz konkrete Konflikte auf und beendete das Schweigen darüber auch bei Leserinnen, die schon glaubten, sich damit abgefunden zu haben. Das wird auch das neue Buch leisten, das Fallwickl diesmal ihrem Sohn gewidmet hat.

„Das Buch, das beschreibt, wie die Lebensrealität von Frauen ist, habe ich für meine Tochter geschrieben“, so Fallwickl, „und das Buch, das Möglichkeiten entwirft, wie es sein könnte, also wie wir uns daraus lösen und weiterbewegen könnten, ist für meinen Sohn – weil es ja schon auch die Botschaft des Buches ist, dass die Männer sich anschließen und mitmachen müssen.“
Bemerkung Katalogisat importiert von: Deutsche Nationalbibliothek
Exemplare
Ex.nr. Standort
22553 DR.E, Fal

Leserbewertungen

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  • 3 Sterne Wenn die Frauen nicht mehr mitmachen ... Überzeichnet, originell, erhellend
    Bewertung abgegeben von Leser 41 am 13.05.2024