Stillbach oder die Sehnsucht : Roman

Gruber, Sabine, 2011
2 Sterne
Bücherei Zams
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Medienart Buch
ISBN 978-3-406-62166-6
Verfasser Gruber, Sabine Wikipedia
Systematik DR.E - Romane, erzählende Gegenwartsliteratur
Schlagworte Familie, Belletristische Darstellung, Finden, Rom, Südtirol, Tod, Fiktionale Darstellung, Freundin, Generation, Haushalt, Schriftstellerin, Auflösung, Roman, Manuskript, Geschichte 1938-1978
Verlag Beck
Ort München
Jahr 2011
Umfang 379 S.
Altersbeschränkung keine
Auflage 3. Auflage
Sprache deutsch
Verfasserangabe Sabine Gruber
Annotation Als ihre beste Freundin Ines in Rom plötzlich stirbt, reist Clara Burger aus Stillbach in Südtirol an, um Ines’ Haushalt aufzulösen. Dabei entdeckt sie ein Romanmanuskript, das im Rom des Jahres 1978 spielt, dem Jahr der Entführung und Tötung Aldo Moros. Darin beschreibt Ines offenbar ihre eigene Ferienarbeit vor mehr als dreißig Jahren als Zimmermädchen im Hotel Manente, schreibt von Liebe, Verrat und Subversion, erzählt aber die Geschichte ihrer Chefin Emma Manente, die seit 1938 in Rom lebt und zum Leidwesen ihrer Südtiroler Familie einen Italiener geheiratet hat. War sie tatsächlich Johann aus Stillbach versprochen gewesen, der 1944 bei einem Partisanenanschlag in Rom getötet worden war? Und ist der Historiker Paul, den Clara in Rom kennenlernt, der Geliebte von Ines aus jenem Jahr? Wie wirken die Spannungen um Südtirol und seine Zugehörigkeit seit der NS-Zeit und dem Faschismus bis heute nach? In diesem großen, wunderschön geschriebenen Roman erzählt Sabine Gruber spannend und präzise von der Verflechtung persönlicher und historischer Ereignisse, von Stillbach und von Rom, von Verrat und Verbrechen, von Sehnsucht, Wahrheit und neuer Liebe.

Quelle: bn.bibliotheksnachrichten, Jutta Kleedorfer
Historisch fundierter Doppelroman vom Schicksal dreier Südtiroler Frauen. (DR)

Die Geschichte beginnt damit, dass sich Clara in den Zug nach Rom setzt, um die Wohnung ihrer plötzlich verstorbenen Jugendfreundin aufzulösen. Beide stammen sie aus Stillbach, einem fiktiven Südtiroler Ort, von dem schon immer die jungen Frauen weggegangen sind, um Arbeit und Glück zu finden. Bei der Sichtung des Nachlasses stößt Clara auf ein Romanmanuskript von Ines, das - auch im Schriftbild als eigener 200-seitiger Roman im Roman gekennzeichnet - vom persönlichen Schicksal wie von den politischen Ereignissen in den Jahren 1938 bis 1978 erzählt. In der umschließenden Rahmenhandlung erfährt Claras Sehnsucht nach einer existentiellen Neuorientierung - die allen Figuren in den unterschiedlichen Beziehungskonstellationen eigen ist - in der Begegnung mit dem in Rom arbeitenden Zeithistoriker Paul eine positive Wendung.

Diese skizzierte Inhaltsangabe wird diesem vielschichtigen, berührenden und historisch brisanten Romangeschehen nicht gerecht. Die Lektüre dieses akribisch recherchierten und fundierten Buches verlangt von den LeserInnen nicht nur die Bereitschaft, sich einzulassen auf eine Begegnung mit drei Frauenschicksalen, sondern auch sich mit Fragen der Vergangenheit aus der Zeit des italienischen Faschismus, der deutschen Besatzung, der Resistenza sowie des Terrors der 1970er Jahre bis in die politische Gegenwart Italiens auseinanderzusetzen. Man kann dieses Buch aber auch als eine präzise Aufarbeitung der italienischen Zeitgeschichte lesen, das durch sprachliche Präzision, klare Strukturierung und bewegende Emotionalität eine Involviertheit beim Lesen hervorruft, die packender nicht sein kann.

Quelle: Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Erika Wimmer
Eine Frau entdeckt in der Wohnung ihrer plötzlich verstorbenen Freundin Ines ein Roman-Manuskript, das die Geschichte eines ehemaligen Südtiroler Dienstmädchens in Italien, später durch Heirat Chefin eines römischen Hotels geworden, erzählt und zugleich im Rom des Jahres 1978, dem Jahr der Entführung und Ermordung Aldo Moros, spielt. Die Frau, Clara Burger, selbst auch Autorin, soll die Hinterlassenschaft ihrer Freundin regeln, sie trifft dabei Paul, der die Tote gekannt hat: Mit ihm, dem Zeithistoriker, teilt sie das Interesse für die politische Gegenwart, für Faschismus und NS-Zeit in Italien, mit ihm lässt sie eine in die Sackgasse geratene Ehe zurück, um - vielleicht - eine neue Liebe zu beginnen.

Zwei ineinander verzahnte, jedoch parallel erzählte Geschichten werden allmählich entfaltet. Ein Netz von Bezügen und Beziehungen wird gewoben, Spannung aufgebaut und wieder gebrochen. Konventionell erzählt, doch da und dort ungemein poetisch, aufgeladen mit zahlreichen zeithistorischen Informationen wird in diesem Roman von Faschismus und Verbrechen, von Verrat und Liebe, vom Leiden an den Bedingungen und vom Besonderen im ganz normalen Leben erzählt. Jede Figur erhält ihre spezifische Schattierung, von der Autorin sensibel aufgespürt und präzise komponiert, sodass der stark zeithistorisch angelegte Roman doch in erster Linie menschliche Schicksale aufwirft - sie allerdings konsequent im Licht der historischen Ereignisse deutet. Die Autorin hat in römischen Archiven, in der Presse von damals, im Gespräch mit Zeitzeugen genau recherchiert, um ein Stück Geschichte auch ganz präzise erzählen zu können. Stillbach, ein fiktiver Ort in Südtirol, wahrscheinlich im Burggrafenamt, gerinnt dabei zur Metapher für Widersprüche, zu einem Ort also, den man gern hinter sich lässt, mit dem man sich aber dennoch zeitlebens auseinandersetzt, nach dem man sich letztlich sehnt.

Die Grundstruktur des Romans, das erzählte Manuskript einer anderen Person, die Aufarbeitung nach einem rätselhaft bleibenden Tod, das Erinnern und langsame Enthüllen, ist klassisch, jedenfalls hat man solche Sujets schon kennen gelernt. Doch es gelingt Sabine Gruber, die ausgelegten Schablonen mit Leben zu füllen, einem Leben, das nach Wirklichkeit schmeckt, überzeugend ist und doch neue Sichtweisen auf schon Gehörtes anbietet. Die Figuren sind spannend, sensibel und mehrschichtig, gezeichnet, besonders Paul, aber auch Nebenfiguren wie die Köchin des Hotel Manente, eine Faschistin, oder ein italienisches Dienstmädchen, das aus den urbanen Randgebieten stammt und in den späten 1970ern der gewaltbereiten Linken in Italien angehört. Der Hauptfigur Emma Manente, das zur Hoteliersgattin und Chefin gewachsene Dienstmädchen aus Stillbach, glaubt man nicht immer die breiten Reflexionen über historische Ereignisse, ihr Nachdenken ist wohl eher eine literarische Strategie, damit diese Ereignisse erzählt werden und die Leser erreichen können. Emma bleibt über weite Strecken merkwürdig blass. Doch am Ende, als Clara Burger das Manuskript ihrer Freundin Ines an der Wirklichkeit überprüft und die real existente Frau im römischen Altersheim besucht, wird plötzlich etwas lebendig, entsteht mit einem Mal ein scharfes Charakterbild dieser Frau: Sie eine starke, selbstbewusste und interessante Person, deren altersbedingte Schrulligkeit zu berühren vermag. Die Begegnung zwischen Emma und Clara ist kurz, jedoch meisterhaft erzählt. Und so gibt es in dem Buch viele Passagen, die nicht nur Sabine Grubers politisches Engagement erkennen lassen, sondern sie auch als großartige Erzählerin ausweisen.

Stillbach oder Die Sehrnsucht ist ein Buch, das man mit Vergnügen liest und das einem dennoch, zumal als Tiroler oder Südtirolerin, zahlreiche Facetten der eigenen Geschichte oder Landesidentität eröffnet, ja begreifbar macht. Mit diesem detailreichen und poetischen Roman könnte Sabine Gruber Joseph Zoderer die Rolle des ‚Südtiroler Platzhirschen' in der deutschsprachigen literarischen Szene abspenstig machen. Das voran gestellte Gedicht von Giuseppe Ungaretti Non gridate piú, dargeboten im Original wie auch in einer Übersetzung von Ingeborg Bachmann, verweist zudem auf eine literarische Tradition, der sich die Autorin offenbar verpflichtet fühlt: zu Recht.

Quelle: Literatur und Kritik, Bernhard Sandbichler
Südtirol-Rom und retour

Sabine Grubers Roman "Stillbach oder Die Sehnsucht"

Es ist noch nicht lange her, dass Michel Houellebecq gestorben ist. Es war in seinem Roman Karte und Gebiet, der 2010 erschienen ist, auf Seite 276. Der Tod des Autors im Text hob auf Seite 23 recht unverfänglich 2000 an: "›Michel Houellebecq?‹ -›Du kennst ihn?‹, fragte Jed überrascht. Er hätte nie geglaubt, dass sich sein Vater überhaupt noch für Kunst interessierte. ›Es gibt eine kleine Bibliothek im Altersheim; ich habe zwei seiner Romane gelesen. Mir scheint, er ist ein guter Autor, angenehm zu lesen, und sein Blick auf unsere Gesellschaft ist ziemlich klarsichtig.‹"

Eine nicht unähnliche Passage findet sich im neuen Roman von Sabine Gruber - auf Seite 322, um genau zu sein: "Ist nicht die in Wien lebende Schriftstellerin Sabine Gruber in Lana aufgewachsen? Clara hatte erst vor kurzem ein Buch dieser Frau in der Hand gehabt, in dem Venedig eine zentrale Rolle spielt…

Wenn sie sich nicht irrte, war Ines mit Gruber sogar flüchtig befreundet gewesen… Vielleicht hatte Ines die Vorfälle in diesem Kloster lediglich exzerpiert, um irgendwann Sabine Gruber davon zu berichten?"

Was diese Ines, eine Romanfigur, eben verstorben, 2008 in Rom, mit der im Romangeschehen nur kurz auftauchenden und tatsächlich in Wien lebenden Schriftstellerin Sabine Gruber verbindet, ist der literarische Stoff, an dem sie schreiben. Es geht um die Geschichte der Südtirolerin Emma Manente, "die Ende der dreißiger Jahre nach Rom gekommen war, eine Landpomeranze mit Zöpfen, ohne Ausbildung". Dass sich viele junge Südtirolerinnen in der Zwischenkriegszeit des letzten Jahrhunderts in italienischen Großstädten als Dienstboten verdingten, diese typische Arbeitsmigration ruft die Geschichte ins Gedächtnis. "Eine klassische Hausangestelltengeschichte … mit unerwartetem Ende". Am 7. Jänner 2011 starb Emma Manente in einem römischen Altersheim, wurde neben ihrem Ehemann Remo Manente auf dem Campo Verano, Roms größtem Friedhof, begraben. Diese Tatsache vermerkt Gruber im Abspann zu ihrem neuen Roman, zusammen mit der, dass Erich Priebke 2010 als Bundespräsidentschaftskandidat der NPD im Gespräch war - jener Erich Priebke, der als stellvertretender Kommandant der deutschen Sicherheitspolizei in Rom an der Erschießung von 335 italienischen Zivilisten am 24. März 1944 in den Fosse Ardeatine, Sandsteinhöhlen im Süden des Stadtgebiets, mitverantwortlich war. Es handelte sich um den Vergeltungsakt für den am Vortag ausgeführten Partisanenanschlag auf das Regiment "Bozen" in der Via Rasella, deren Name seither Synonym für den heldenhaften italienischen Widerstand gegen das verhasste Nazi-Regime in Rom ist. Emmas (vermutlich fiktiver) Verlobter Johann war unter den Opfern des Attentats, beide kamen sie aus dem (fiktiven) Südtiroler Dorf Stillbach.

Oft genug verknüpft die Historie Opfer und Täter auf solche Art. Diese Episode freilich schrieb nicht die Geschichte allein, sondern die Stillbacherin Ines, sie "hatte tatsächlich an diesem mehrbändigen Werk geschrieben, hatte nicht nur davon gesprochen, wie diese Freundin Mariannes, die es scheinbar noch immer vorzog, sich den Tagträumen über Romane hinzugeben und auf imaginären Erfolgswellen zu surfen, anstatt endlich zu schreiben. Wien war voll von derartigen überempfindlichen Schriftstellerinnen und Dichterinnen". Clara, Ines' Freundin aus Stillbacher Kindheit, ist aus Wien nach Rom gekommen, um deren Haushalt aufzulösen. Sie entdeckt das Manuskript. Es ist die "Geschichte ihrer Freundin", zwei ineinander verflochtene Erzählstränge, kapitelweise alternierend: der eine aus Sicht der 17-jährigen Ich-Erzählerin erlebt, die im Sommer 1978 nach Rom kommt, um im Hotel der Emma Manente Geld zu verdienen; der andere aus der Perspektive der erwachsenen Ines, die das Schicksal ihrer strengen Brotgeberin ergründet und von Antonella, ihrer römischen Arbeitskollegin und Sympathisantin

der indiani metropolitani, fasziniert ist. Am Todestag Papst Johannes Pauls I. muss sie aus Rom gehen, die Umstände wollen es so. Man unterstellt ihr, Geld gestohlen zu haben. Paul, Geschichtestudent, der sich in Rom als Touristenführer ein Zubrot verdient und Ines' Liebhaber für eine Nacht wird, verliert sie, wie die Manente ihren Johann ver-

loren hat.

Dieser Roman im Roman macht den Hauptteil aus. Die Rahmenerzählung setzt mit dem Tod der Schriftstellerin Ines ein und mit dem Bewusstsein, dass man mit dem Tod mehr und mehr der Vergessenheit anheimfällt. "Ich weiß so wenig von Ines", erkennt Clara. "Was noch an Erinnerungen da ist, wird nach und nach versickern." Paul, der aufgrund einer gescheiterten Beziehung in Wien wieder in Rom ist und den Ines noch vor ihrem Tod kontaktiert hat, versucht "eine Schneise in das Vergessensdickicht" zu schlagen. Er, der als Historiker besessen von der Vergangenheit ist, ein Spezialist des Italien unter Mussolini und der Nazi-Besatzung, er, der "Führungen durch das faschistische und besetzte Rom" anbietet, scheitert an persönlicher Erinnerung.

Wie lebendig aber gerade die Toten der Geschichte sind, wie sehr sie die Gegenwart beherrschen, wird in diesem Gegensatz klar. Wer, im Übrigen, denkt nicht an Ingeborg Bachmann, wenn eine Schriftstellerin in Rom stirbt? "Hört auf, die Toten zu töten,/Schreit nicht mehr, schreit nicht,/Wenn ihr sie noch hören wollt,/Wenn ihr hofft, nicht zu verderben.//Sie haben das unmerkbare Flüstern,/Sie machen nicht mehr Lärm/Als das Wachsen des Grases,/Froh, wo kein Mensch geht." Giuseppe Ungarettis Aufforderung steht als Motto dem Roman voran, die Übersetzung stammt von der Bachmann. Es sind nun eben solche nie direkten Anspielungen, die einen Teil der Qualität dieses Romans ausmachen, eine Reihe von scheinbaren Beiläufigkeiten, die das Erzählte lebendig machen und vor biederer Vergangenheitsbewältigung bewahren. Es ist das genaue Hinhören, das Gruber in der Recherche betrieben und im Schreiben umgesetzt hat. "Um glaubwürdig zu bleiben, mußte man in einem Roman vom eigentlichen Wahnsinn absehen", lässt Gruber ihren Historiker Paul sagen (und tut ebendies); er ist es auch, der Grubers Erzählstrategie formuliert: "Vielleicht war es eine Strategie des alternden Gedächtnisses, Historisches in Alltäglichem zu verhaken, damit es weniger schnell verlorenging"; er ist es, der Ines darauf aufmerksam macht, dass sie "als Südtirolerin wenig über die faschistische und nationalsozialistische Vergangenheit [ihres] Landes wisse" und damit ein wesentliches Schreibmotiv liefert; und nicht zuletzt ist er es auch, der mit der jungen Archäologin Julia ins Bett geht, wobei wir aus ihrem Mund erfahren, was "Forellensex" ist.

Lieben und hassen, erinnern und vergessen, schreiben und schweigen sind hier Themen, die den roten Faden im Gewebe eines Stücks Südtiroler und italienischer Geschichte ausmachen. Sabine Grubers sorgfältig durchkomponierter Roman ist ohne Zweifel ein Meisterwerk, das zeigt, dass Schriftseller nicht "ein Leben lang Kinder [bleiben], die als Erwachsene eine Form gefunden [haben], um das letzte Wort zu behalten", wie der Historiker Paul gegen Ende des Romans für sich denkt. Schriftsteller behalten das letzte Wort nicht aus kindlicher Rechthaberei, sondern weil sie im besten Fall originelle Perspektiven schaffen. Wo das - wie hier - gelingt, schnürt das letzte Wort des Schriftstellers das Gespräch mit dem Leser nicht ab, sondern macht es oft erst möglich.

Quelle: Pool Feuilleton
"Heutzutage muss alles echt wirken, auch wenn es ein Fake ist." (330) - Sabine Gruber erzählt genau auf jenem oszillierenden Kamm, an dem sich scheinbar Fiktion und Fakten scheiden, dabei sind beide Welten gleich wahrscheinlich und aufregend. Allein schon der "oder"-Titel in Gestalt eines Broch-Romans deutet darauf hin, dass man alles auch anders lesen kann.

Stillbach ist ein kleiner Ort in Südtirol, von dem die Sehnsucht nach Geschichte ausgeht. Die Protagonistinnen brechen aus Stillbach aus, um in der Welt ihre Sehnsucht zu stillen.

Wie in einem historischen Gemälde gibt es einen schweren Rahmen, der mit der Gegenwart verschweißt ist, und eine Innen-Story.

Im Rahmen-Roman erfährt Clara, dass ihre Freundin Ines in Rom verstorben ist, ihr werden auch die ersten Teile des Nachlasses überreicht und sie beschließt, die Wohnung der 1230 verstorbenen in Rom aufzulösen. Beide Frauen stammen aus Stillbach und haben sich später in der Welt verloren. Aus den ersten Notizen heraus knüpft Clara Kontakte und stößt dabei auf den Historiker Paul, der offensichtlich über die jüngere Zeitgeschichte Roms forscht, er stellt sich als loser Liebhaber von Ines heraus.

Der Innen-Roman besteht aus einem Manuskript der Verstorbenen, worin eine Ich-Erzählerin ihren Arbeitseinsatz in einem römischen Hotel um das Jahr 1978 herum beschreibt. Das Hotel wird von der ehemaligen Stillbacherin Emma geführt, die zu faschistischen Zeiten nach Rom gezogen ist, teils aus Liebschaft, teils aus Selbstbefreiungsgründen. Die Erzählerin erlebt die aktuelle Zeitgeschichte, die im Tod von Aldo Moro kulminiert. Wie in einem klassischen Hotel-Roman wechseln sich die Enge der Arbeitswelt und der Weltflair der Gäste im Stundentakt ab. Als die Erzählerin fälschlich des Diebstahls bezichtigt wird, muss sie ohne Entlohnung gehen. Sie fährt mit den letzten Münzen nach Stillbach zurück.

Jetzt setzt wieder der Rahmen-Roman ein. Der Historiker Paul kommentiert das Manuskript aus historischer Sicht und erzählt von seinen Forschungen über die Verquickung von Südtirolern bei der Fluchthilfe von Nazis. Clara interessiert vor allem die Innensicht der Dinge, die Ines dargestellt hat. Irgendwie stellt sich die Frage, wohin mit dem Nachlass. Und hier schließt der Roman elegant an die literarische Realität an. "Sie kannte offensichtlich Sabine Gruber." (359) Diese wird wohl den Roman publizieren.

Ein Glossar mit den historischen Personen verleiht dem Roman die seriöse Verankerung in der Zeitgeschichte. Dass die Fiktionalisierung ein Luder ist, zeigt sich an einer kleinen Sequenz im Manuskript. Da ist von Bauerntöchtern, deren Väter EU-Förderung erhalten, die Rede, (219) bloß gab es 1978 keine EU, die wurde erst 1993 installiert.

"Stillbach oder Die Sehnsucht" ist ein raffiniert durchkomponierter Versuch, die Integration eines kleinen Ortes in der nationalen Geschichte zu installieren, Südtirol mit Rom zu versöhnen, die Emanzipation mit der Arbeitswelt. Sabine Gruber erzählt konzentriert und mit Hingabe, und hat dennoch das ironische Zwinkern im Augenlid, etwa wenn sie den Forellen-Sex beschreibt oder das Verlagswesen, das sich postmodern zwischen Romantik und Pragmatismus eingereicht hat. - Ja, dieser Roman ist vollkommen echt!

Helmuth Schönauer
Bemerkung Katalogisat importiert von: Deutsche Nationalbibliothek
Exemplare
Ex.nr. Standort
22157 DR.E, Gru

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