Der junge Mann

Ernaux, Annie, 2023
Bücherei Zams
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Medienart Buch
ISBN 978-3-518-43110-8
Verfasser Ernaux, Annie Wikipedia
Beteiligte Personen Finck, Sonja [Übers.] Wikipedia
Systematik BI - (Auto-)Biographien,Erlebnis-/Erfahrungsberichte
Schlagworte Familie, Liebe, Identität, Frankreich, Tod, Biografie, Erzählende Literatur: Gegenwartsliteratur ab 1945, Frau, Trauma, Schwester, Geschwister, Nobelpreis, Familiengeheimnis, Verlust, Geschwisterliebe, Autofiktion, Didier Eribon, Literaturnobelpreis, Die Jahre, Dysfunktionale Familie, 1950ger, Eduard Louis, Das Ereignis, Tod;Geschwisterliebe;Dysfunktionale Familie;Geschw
Verlag Suhrkamp
Ort Berlin
Jahr 2023
Umfang 48 Seiten
Altersbeschränkung keine
Auflage 1. Auflage
Sprache deutsch
Verfasserangabe Annie Ernaux
Annotation Angaben aus der Verlagsmeldung



Der junge Mann : Nobelpreis für Literatur 2022 Le jeune homme / von Annie Ernaux





Nobelpreis für Literatur 2022



Sie ist Mitte fünfzig und beginnt ein Verhältnis mit einem dreißig Jahre jüngeren Mann. Einem Studenten, noch dem Milieu verhaftet, aus dem sie sich emanzipiert zu haben glaubt. Er verlässt die gleichaltrige Freundin und liebt sie mit einer Leidenschaft wie keiner zuvor. Entrückte Tage und Nächte in seinem kargen Zimmer, Matratze auf dem Boden, löchrige Wände, defekter Kühlschrank. Doch die intime Episode ist zugleich etwas Politisches, auf der Straße, in den Restaurants und Bars: fast ständig böse Blicke, wütende Reaktionen. Sie ist wieder das »skandalöse Mädchen« ihrer Jugend, nun aber ganz ohne Scham, mit einem Gefühl der Befreiung. Irgendwann erträgt er ihre frühere Schönheit nicht mehr, und sie erlebt bloß noch Wiederholung, obwohl er »ihr Engel ist, der die Vergangenheit heraufbeschwört, sie ewig leben lässt«. Und was heißt das für die Zukunft?



Annie Ernaux bricht ihr letztes Tabu radikal pointiert und prägnant erzählt sie von einer skandalösen Liebesbeziehung, einer ambivalenten Rückkehr in die eigene Vergangenheit und der triumphalen Überwindung einer lebenslangen Scham.


Pressestimmen
»Wenig Worte, Riesenwirkung ... Dieser schmale Band revolutioniert Frankreich!«
Süddeutsche Zeitung 12.12.2022

»Der junge Mann ist Annie Ernaux’ Meisterstück, eine perfekte Miniatur, in der sie mit einer schwindelerregend schönen Proust’schen Geste all ihre vorigen Bücher verdichtet.«
Les Inrockuptibles 12.12.2022

»Der junge Mann kondensiert alle Themen, die für Ernaux wichtig sind: das Nachdenken über soziale Herkunft und gesellschaftlichen Aufstieg, übers Frausein und auch nochmal über die Abtreibung, die in ihrem Buch Das Ereignis zentral stand.«
SWR2 18.01.2023

»Der große Genuss dieses Textes stellt sich ein, wenn man weiß, dass er um die Jahrtausendwende spielt und Annie Ernaux Anlauf nimmt für ihren wunderbaren Roman das Ereignis.«
Denis Scheck , WDR 3 16.01.2023

»Ein rigoroses Buch, das schmerzt. Auch das eine Aufgabe großer Literatur.«
Bernd Melichar , Kleine Zeitung, Graz 14.01.2023

Rezension vom 13. Januar 2023
https://topos.orf.at/annie-ernaux100
Annie Ernaux

Tabubruch mit „jungem Mann“

Letzten Oktober wurde der 81-jährigen Annie Ernaux „für den Mut und die klinische Schärfe, mit der sie die Wurzeln, Entfremdungen und kollektiven Fesseln der persönlichen Erinnerung aufdeckt“, der Literaturnobelpreis verliehen. Dem wird sie mit ihrem neuen, dünnen Büchlein „Der junge Mann“ gerecht, in dem sie autobiografisch das Tabuthema vom Sex mit einem deutlich Jüngeren aufgreift.

Ernaux schrieb in ihrer vielbeachteten, 2008 erschienenen Autobiografie „Die Jahre“, sie wolle „in einem individuellen Gedächtnis das Gedächtnis des kollektiven Gedächtnisses finden und so die Geschichte mit Leben füllen“. Das Private, es ist bei ihr nicht nur das Politische, sondern auch das Historische, etwas, das sich durch unterschiedliche Zeitebenen zieht und Verbindungslinien herstellt, die in der offiziellen Geschichtsschreibung übersehen werden.

So entstand im Lauf der Jahrzehnte mit Ernaux’ autobiografischem und teilweise autofiktionalem Werk eine Art Psychopathologie der Gegenwart, tiefenpsychologisch aufgearbeitet von ihr selbst. Damit beeinflusste Ernaux nicht zuletzt Schriftsteller wie Édouard Louis und zuletzt Andrea Abreu, die heute die Messlatte des Schreibens entlang harter Realitäten sind. Denn Ernaux bewegt sich auf diese Weise nicht nur durch die Historie – sondern auch durch gesellschaftliche Klassen.

Ernaux auf Klassenreise
Ernaux’ Geschichte ist die einer Klassenreise – ein Aspekt, der auch in ihrem neuen Buch eine große Rolle spielt. Sie wuchs in kleinen Verhältnissen in der Normandie auf, wurde nach dem Studium Gymnasiallehrerin und landete als Schriftstellerin in intellektuellen Kreisen. Mitte 50, in den 90er Jahren, lernte sie in Rouen einen jungen Mann kennen, einen Studenten, der ihr sofort verfallen war. Auch er war in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen.

Durch ihn fühlte sich Ernaux in ihre eigene Vergangenheit zurückversetzt. Wenn sie in seiner ranzigen Absteige mit ihm auf dem Bett herumkugelte, fühlte sie sich noch einmal jung. Aber Ernaux’ Selbstanalyse darf man sich nicht vorstellen, als wäre sie von der Aura der Traumdeutung von Freud bis Schnitzler durchsetzt, da gibt es keine Mythen, keinen roten Plüsch, die Sünde ist nicht auratisch, Schmerz ist einfach nur Schmerz und Erklärungen sind nicht selten Kausalbeziehungen, die – zumindest vordergründig – empathielos vorgetragen werden, vor allem empathielos gegenüber der jeweils jüngeren Version ihrer selbst.

Aussichtslose Altersflucht
Aber auch empathielos dem jeweils anderen gegenüber, in diesem Fall dem jungen Mann. Es war schon Liebe, auch von ihrer Seite, aber, wenn es denn so etwas geben kann, zweckgerichtete Liebe. Ob Ernaux sich schon damals keine Illusionen machte oder erst heute im Rückblick, sei dahingestellt. Den Deal der beiden stellt sie in ihrem Buch ganz abgeklärt dar: Ich ermögliche dir schöne Urlaube und lade dich zum Essen ein, dafür entführst du mich in deine Welt.

„Man konnte unsere Beziehung als Zweckbeziehung sehen. Er bereitete mir Lust, und dank ihm erlebte ich Dinge, die noch einmal zu erleben ich nie geglaubt hätte. Dass ich ihn auf Reisen einlud und er sich meinetwegen keine Arbeit suchen musste, denn dann hätte er weniger Zeit für mich gehabt, erschien mir ein fairer Handel, ein gutes Geschäft, zumal ich diejenige war, die die Regeln bestimmte. Ich befand mich in einer Machtposition, und ich setzte meine Macht als Waffe ein, obwohl ich wusste, wie fragil sie in einer Liebesbeziehung ist.“

Zumindest der junge Mann scheint das nicht so gesehen zu haben. Sie beschreibt ihn als eifersüchtig, als verliebt, immer mehr von der Beziehung wollend, als Ernaux bereit war zu investieren. Ernaux weiß natürlich, dass das ein gnadenloses Licht nicht nur auf ihren damaligen Geliebten, sondern auch auf sie selbst wirft. Ein Mensch, der sich auf eine aussichtslose Altersflucht begibt, wirkt selbst dann nicht souverän, wenn er dabei seine vermeintliche Härte zur Tugend macht.

Post-Nobelpreis-Abzocke
Ernaux geht hier keinen Pakt mit dem Teufel ein, sondern mit der kalkulierten Fremdscham. Von konservativen Medien wird ihr diese Kalkuliertheit nicht abgenommen. Gleich zweimal bemüht die deutsche „Welt“ den Begriff „Linksfeminismus“ in ihrem Artikel über das Buch. Den verrate sie nämlich, wenn sie sich so empathielos und grausam gegenüber dem Geliebten verhalte, ob in der Geschichte oder im echten Leben.

Annie Ernaux: „Der junge Mann“, Suhrkamp, 41 Seiten, 16 Euro.

In einer Hinsicht weiß Ernaux, was sie ihrer Leserschaft schuldig ist. Das Buch peitscht mit kristallklaren Sätzen durch die Handlung, auf atemberaubende Weise, wie das in dieser Form nur Ernaux kann. In anderer Hinsicht bleibt sie einiges schuldig. Die 40 Seiten sind so locker gesetzt, dass man sie leicht auf fünf dicht beschriebenen unterbringen hätte können.

Ob der Verlag da rasch etwas publizieren wollte und diesen Text aus der Schublade holte oder Ernaux möglichst schnell etwas Kurzes liefern musste, weiß man nicht. Ein wenig bleibt jedenfalls der schale Nachgeschma c4e ck von Post-Nobelpreis-Abzocke. Die Story hätte mehr hergegeben. Die „Süddeutsche Zeitung“ ist da tolerant und schreibt: „Wenig Worte, Riesenwirkung!“ Stimmt auch.

Simon Hadler (Text, Video), ORF Topos, Leonie Markovics (Gestaltung), ORF Topos, Jürgen Bauernfeind (Kamera), für ORF Topos und Kafeela Adegbite (Schnitt), für ORF Topos
Bemerkung Katalogisat importiert von: Deutsche Nationalbibliothek
Exemplare
Ex.nr. Standort
20348 BI, Ern

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