Herznovelle : Text über die große Sehnsucht nach einem Leben vor dem Tod

Rabinowich, Julya, 2011
Bücherei Zams
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Medienart Buch
ISBN 978-3-552-06158-3
Verfasser Rabinowich, Julya Wikipedia
Systematik DR.E - Romane, erzählende Gegenwartsliteratur
Schlagworte Belletristische Darstellung, Fiktionale Darstellung, Frau, Bewältigung, Todesangst, Herzoperation
Verlag Deuticke
Ort Wien
Jahr 2011
Umfang 157 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Julya Rabinowich
Annotation Angaben aus der Verlagsmeldung



Herznovelle / von Julya Rabinowich


Eine Frau wird von ihrem Mann ins Krankenhaus gebracht, zu einer Herzoperation. Die beiden wirken wie Schlafwandler, keiner scheint den anderen wahrzunehmen. Nach einer erfolgreichen Operation kehrt sie schon nach wenigen Wochen nach Hause zurück. Doch schon bald plagen sie Träume, in denen sie mehr lebt als in ihrem realen Leben. Sie findet in den Alltag vor ihrer Operation nicht mehr zurück. Im Krankenhaus begibt sie sich auf die Suche nach dem Herzspezialisten, ihrem Lebensretter, der ihr Herz berührt hat. In der deutschsprachigen Literatur der Gegenwart ist Julya Rabinowich eine neue Stimme, die aufhorchen lässt. "Herznovelle" ist ein Text über die große Sehnsucht nach einem Leben vor dem Tod.


Quelle: bn.bibliotheksnachrichten, Christina Repolust
Wer fremde Herzen sieht, kann nicht zum Alltag zurückkehren. (DR)

Die Ich-Erzählerin macht sich bereit. Bernhard, der Ehemann, funktioniert. Beide funktionieren, als gehe es nicht ums Herz. Ihr Herz, das Herz der Ich-Erzählerin, konkret geschrieben. Wer sich auf diese Geschichte einlässt, mutet dem eigenen Herzrhythmus einige Verstörungen und Irritationen zu: Träume, Gedanken, wilde Aktionen und dazwischen, quasi zum Ausruhen, Lyrik - oder sind es einfach komprimierte Wünsche? Während Bernhard Tabletten zählt, folgt seine Frau ihrem Herz-Spezialisten, ja, sogar auf den Ärzteball.

Tragisch-komisch ist diese Geschichte, die keinen Absatz lang an ihrer Ernsthaftigkeit zweifeln lässt. Julya Rabinowich hat mit ihrem Debütroman "Spaltkopf" 2008 den Rauriser Literaturpreis gewonnen und damals schon gezeigt, wie gut sie sich an den Rändern, an Grenzbereichen auskennt. Eine trittsichere Grenzgängerin und wieder ein sehr empfehlenswertes Buch.

Quelle: LHW.Lesen.Hören.Wissen, Michael Patreider
Als er seine Frau zu einer Herzoperation ins Krankenhaus bringt, wirken die beiden wie Schlafwandler angesichts der bevorstehenden Operation. Diese gelingt aber ohne jegliche Komplikation und so kann die Ich-Erzählerin schon nach wenigen Wochen wieder nach Hause. Doch etwas hat sich durch die Operation geändert: der Herzspezialist, der ihr Herz während des Eingriffs berührt hat, verfolgt sie in ihre erotisch aufgewühlten Träume. Die junge russischstämmige Autorin Julya Rabinowich hat mit ihrem zweiten Buch einen kurzen, eindrucksvollen Text voller Sehnsucht und tiefer Intensität geschaffen, wie es ihn in der deutschen Gegenwartsliteratur lange schon nicht mehr gegeben hat.

Quelle: Literatur und Kritik, Isabella Pohl
Ans Herz rühren

Julya Rabinowichs komplexe "Herznovelle"

Im Leben einer gelangweilten Hausfrau wird eine Herzoperation zum lange ersehnten Abenteuer - zum Bruch mit ihrer eintönigen Vergangenheit, der jedoch nur ein Ausbruchsversuch bleibt. In ihrem neuen Buch "Herznovelle" geht die Schriftstellerin Julya Rabinowich dem existenziellen Herzschmerz auf ebenso pragmatische wie poetische Weise auf den Grund. Schon in ihrem vielbeachteten Debütroman "Spaltkopf" (2008, edition exil), einer autobiografischen Collage, kommt das Herz als tückisches und verletzliches Organ immer wieder vor. In der "Herznovelle", die sich nicht nur im Titel, sondern auch in ihrem Spiel mit Träumereien und Wirklichkeiten an Arthur Schnitzlers "Traumnovelle" orientiert,

wird es nun zum mächtigen Protagonisten, zum Herrscher über Leben und Tod, aber auch über Sehnsüchte und Vorstellungskraft, über die Sprache und das Schweigen.

Es schlägt mit seinen zahlreichen Eskapaden den hüpfenden Rhythmus des Erzählflusses - und möchte möglicherweise nur von seiner eigenen Taktlosigkeit ablenken.

Eine Frau, die namenlose Ich-Erzählerin, die sich im entscheidenden Moment daran erinnert, von ihrer Deutschlehrerin einst "eine originelle Wortwahl" und "ein Händchen für Geschichten" bescheinigt bekommen zu haben, bereitet sich auf einen Krankenhausaufenthalt vor. Ihr störrisches Herz soll in einer Operation gebändigt werden. Dem Eingriff sieht sie mit einer eigenartig kühlen Aufregung entgegen. Die Frau, die Mitte, vielleicht auch Ende dreißig sein könnte, bereitet sich auf das Krankenhaus wie auf ein Rendezvous vor: teures Parfum auf dem von der Dusche noch glühenden Körper, ein schönes Kleid, geföhnte Frisur, elegantes Auftreten. Im Schlepptau wird ein nicht ganz uneigennützig fürsorglicher Ehemann geduldet. Im Spital fühlt sich die Protagonistin "wie Schneewittchen", und in der Tat erzählt die "Herznovelle" einen furiosen Albtraum, den wohl ein vergifteter Apfel einem Schlafenden hätte eingeben können. Die Frau ist das träge Opfer ihrer eigenen wohlmeinenden Familie. Eine begabte Frau, die sich als das "Haustier"

ihres anhänglichen Mannes fühlt und sich von ihm und ihrer von konservativen Geschlechterrollen überzeugten Mutter hinter den Herd gedrängt fühlt. Eine Frau im vergoldeten Einfamilienhauskäfig, der es nicht zuletzt, weil sie ihren Sehnsüchten und Bedürfnissen nicht auf den Grund blickt, an Entschlossenheit fehlt, sich gegen dieses ihr aufgezwungene Leben aufzulehnen.

Ihre Operation wird zum Erweckungserlebnis stilisiert. "Meine Rippen sind Kirchengewölbe / in die ein Heiligtum eingebettet ist / er greift in mein Rippengewölbe / und nimmt mein Herz heraus / und sieht es an", heißt es in einem der zahlreichen lyrischen Zwischenakte.

Aus der Narkose erwacht die Patientin mit einer obsessiven, um ihren Chirurgen kreisenden Leidenschaft, die sie zur poetischen Schwärmerin und psychopathischen Stalkerin werden lässt.

Während sich Bernhard, der Ehemann, nach der geglückten Operation freut, in die Zweisamkeit zurückkehren zu können, verlässt seine Frau das Spital mit einem Gefühl der Unvollkommenheit. Als könne das Erlebte noch nicht alles gewesen sein: Operation, vorbildlich schnelle Genesung, Heilung. Daheim, im spießigen Haus mit Garten, hat sie Angst davor, mit dem neuen Herzen alleine zu sein. Ein fremder Mann hatte ihr Herz im doppelten Wortsinn berührt: "Mein Herz schlägt zwischen seinen Fingern / die ganz leicht mitbeben." Die Frau will ihre Genesung nicht akzeptieren, kehrt unter verschiedenen Vorwänden - gleich einem Verbrecher, den es immer wieder zum Tatort zurückzieht - ins Spital zurück und wird dort schließlich wieder stationär aufgenommen. Während sie als Fall für den Psychiater behandelt wird, ist sie fest davon überzeugt, Heilung nur durch ihren Herzensarzt erfahren zu können. Ihre Obsession treibt sie in geheimer Mission durch Fieber- und Tagträume, die von der Realität bald kaum mehr zu unterscheiden sind.

Jede Nacht träumt sie von dem Chirurgen, der ihren Brustkorb geöffnet und ihr Herz freigelegt hat und von dem sie glaubt, er müsse sie deshalb besser verstehen als jeder andere. Die Träume werden zum parallel stattfindenden, erfüllenderen Leben. Diese Träume sind von Farben bestimmt - ebenso wie der Krankenhauskomplex, den Rabinowich wie das Produkt eines dieser wirren Albträume schildert: lange Gänge mit verschlossenen Türen auf

unzähligen Ebenen, Ärzte, die nicht zu hinterfragende Urteile fällen, Patienten, die sich bedingungslos in ihre Schicksale fügen. Das Spital als lebender Organismus, als allmächtiger Feind, durch dessen grüne, orange oder lilafarbenen Ebenen sich die Protagonistin auf der Suche nach ihrem Chirurgen wie in einem Computerspiel kämpfen muss. Sie durchforscht das Krankenhaus, um es sich anzueignen. Sie registriert: "Die Gesichter derer 1032 , die aus dem Gebäude gehen, wirken gelöster als jene, die hineinmüssen, als ob eine Bedrohung von ihnen abfallen würde, mit jedem Schritt, den sie von dem Gebäude wegsetzen.

" Das Krankenhaus betrachtet sie als ein "Haus der Schmerzen. Ein Haus, das zeigt, wieweit man sein Menschsein aushält und ab wann es nicht mehr ertragbar ist." Eine der mehreren sich bei der "Herznovelle" anbietenden Lesarten wäre auch, neben dem kunstvollen Verwischen der Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, die nüchterne Analyse des sozial und sozioökonomisch hoch komplexen Kosmos Spital: Im Reich der Kranken werden die Hierarchien neu geordnet. "Die Abhängigkeit mischt alle Karten neu", sie macht die Menschen nicht gleich, aber gleicher - und manche unverhofft ganz anders: "Im Lande der Siechen ist der robuste Wahnsinnige König."

Hier wurzelt die Sehnsucht der Herzpatientin nach dem ruhigen Krankenbett, nach den besorgten Besuchern, die Blumen an ihr Bett stellen, nach den grünen Augen des Chirurgen. Letzterer ist zwar das fanatisch verfolgte Objekt ihrer Begierden und erotischen Träume, existiert aber mehr als Idee denn als reale Person mit konkreten Eigenschaften. Bis auf Bernhard, den Ehemann der Ich-Erzählerin, haben nahezu alle Figuren, wie das in Träumen nun mal so ist, keine Namen. Und selbst bei Bernhard möchte man meinen, der Name diene nur dazu, die Figur mit ihren persönlichen Merkmalen hinter ihm zum Verschwinden zu bringen.

Nach ihrem Debütroman "Spaltkopf", in dem Julya Rabinowich ihre bewegte Familiengeschichte als überbordende, explosive Entwicklungsgeschichte erzählt und vielstimmig moduliert hat, erscheint die mit 160 Seiten vom Umfang her kleinere "Herznovelle" nun zugleich thematisch präzisierter wie sprachlich schlichter und reduziert: In ihren knappen Sätzen, die über weite Strecken einen inneren Monolog beschreiben, der immer wieder von klar umrissenen, filmisch anmutenden Sequenzen durchbrochen wird, herrscht höchste Konzentration. Neben der Autorin vermutet man hier zugleich einen Regisseur am Werk, der aus reichlich Material dichte Szenen inszeniert - manche davon mit der düsteren Spannung eines atemraubenden Psycho-Thrillers. Bemerkenswert ist die gelassene Souveränität, mit der Julya Rabinowich in ihrer "Novelle" die Genres durcheinanderwirft, und dabei immer exakt im Takt bleibt.
Bemerkung Katalogisat importiert von: Deutsche Nationalbibliothek
Exemplare
Ex.nr. Standort
20144 DR.E, Rab

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