Gestapelte Frauen : Roman

Melo, Patrícia, 2021
Bücherei Zams
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Medienart Buch
ISBN 978-3-293-00568-6
Verfasser Melo, Patrícia Wikipedia
Beteiligte Personen Mesquita, Barbara [Übers.] Wikipedia
Systematik DR.E - Romane, erzählende Gegenwartsliteratur
Schlagworte Lateinamerika, Spannung, Regenwald, Fiktionale Darstellung, Erzählende Literatur: Gegenwartsliteratur ab 1945, Frau, Kriminalroman, Rassismus, Brasilien, Amazonas, Sexismus, Indigene, Femizid, Justiz
Verlag Unionsverlag
Ort Zürich
Jahr 2021
Umfang 250 Seiten
Altersbeschränkung keine
Auflage [1. Auflage]
Sprache deutsch
Verfasserangabe Patrícia Melo ; aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita
Annotation Angaben aus der Verlagsmeldung



Gestapelte Frauen : Roman Mulheres Empilhadas / von Patrícia Melo




Sie verliebt sich schnell in Amir charmant, intelligent, interessiert. Die Unterhaltungen belebend, die Nächte im lebhaften São Paulo berauschend. Dann die Ohrfeige, die Beleidigung. Um so weit weg wie nur möglich von ihm zu sein, nimmt die junge Anwältin eine Stelle im entlegenen Cruzeiro do Sul an. Als Beobachterin nimmt sie an Gerichtsverhandlungen zu brutalen Frauenmorden teil. Immer näher kommt sie dem Leben der Opfer den Töchtern, den Müttern, den Freundinnen. Und immer eindringlicher verfolgen sie Bilder aus ihrer Kindheit, Bilder ihrer eigenen Mutter.




Um der Wirklichkeit zu entkommen, flüchtet sie sich in eine Traumwelt in geheimnisumwirkte Wälder und Flüsse, an die Seite von Amazonen, die die Täter verfolgen. In der Realität aber scheint die Gerechtigkeit unerreichbar.


Pressestimmen
»Patrícia Melo sprengt mit Energie und Farbe die Grenzen zwischen zwei Welten. Gestapelte Frauen vibriert vor Wut über die Femizide und leuchtet in halluzinatorischen Bildern von Jaguaren und Amazonen.« -- Martina Läubli - NZZ – Bücher am Sonntag

»Gestapelte Frauen ist Patrícia Melos schwärzester Roman bisher und ihr bester, ein formaler und stilistischer Höhepunkt in ihrem Schaffen. Die Protagonistin findet einen Weg aus der Ohnmacht in ein selbstbestimmtes Leben. ›Literatur‹, sagt Melo, ›ist ein Raum für Widerstand‹, gerade in dunklen Zeiten. Er ist wieder notwendiger denn je.« -- Dagmar Kaindl - Buchkultur

»Patrícia Melo nimmt uns mit auf die Spurensuche, und sie zwingt uns dazu, ganz genau hinzusehen. Eine Recherche mit den Mitteln der Kriminalliteratur – bestechend und bestürzend.« -- Ulrich Noller - Jury der Weltempfänger-Bestenliste

»Patrícia Melo hat einen thematisch bedrückenden, doch sprachlich beeindruckenden Roman geschrieben. Gekonnt hat sie die städtische Welt mit ihrem dysfunktionalen Justizapparat mit der natürlichen Welt des Urwalds und der indigenen Völker verknüpft und auf diese Weise ein Netz der Gewalt gesponnen, gegen das sich die Frauen, ganz gleich welcher Herkunft, gemeinsam auflehnen. Barbara Mesquita hat sich der Sprachgewalt Melos gestellt. Gekonnt hat sie den Spagat zwischen dem radikalen Worttrommelfeuer und der Feinsinnigkeit von Mutter Natur geschafft, Protagonisten nuanciert charakterisiert und eine eindrucksvolle Übersetzung hervorgebracht, bei der jedes Wort durch Mark und Bein geht.« -- Lisa Mensing - TraLaLit

»Patrícia Melo verbindet kalte Analyse und lakonischen Protokollstil mit Mythen, Ritualen und Halluzinationen, schonungslose Gesellschaftskritik mit einem versöhnlichen Ende, mit Tanz und Freude und der Vision von einer friedliebenden, solidarischen Welt. Ein grausam schönes, packendes, empathisches, fantasievolles Buch.« -- Cornelia Zetzsche - Bayerischer Rundfunk BR2

»Gestapelte Frauen spielt in einem bedrückenden, aber zugleich paradiesischen Umfeld. Melo beschreibt den Amazonasregenwald als einen intensiv sinnlichen Ort. Ihr Roman ist auch eine Liebeserklärung an die Welt der amazonischen Ureinwohner.« -- Victoria Eglau - Deutschlandfunk

»Vieles an diesem Roman ist so erschreckend wie beeindruckend. Melos Brillanz besteht in der Sparsamkeit, mit der sie ihre erzählerischen Mittel einsetzt. Der gewohnt schnoddrig sarkastische Tonfall, der zu ihren großen Stärken gehört, findet sich auch hier, doch angesichts des Themas verliert er sich zunehmend. Ein wütendes, ein anklagendes Buch, aber es hat auch noch eine andere, eine fantastisch mythische Dimension.« -- Marcus Müntefering - Spiegel Online

»Erneut ist es an dieser Stelle in erster Linie der Stil, der die falschen Fährten legt. Als wäre man es selbst, der diese unheimlichen Nachrichten bekommt, die einen aus dem Tagesablauf herausreißen und jeden konzentrierten Gedanken im Keim zu ersticken drohen.« -- Katrin Doerksen - FAZ

»Patrícia Melo hat einen packenden und exzellent konstruierten Roman über ein aktuelles, brennendes Problem geschrieben.« -- Michi Strausfeld - literaturkritik.de

»Ein Roman mit immenser politischer Bedeutung, bei dem auch die literarische Qualität, die absolute Beherrschung des Handwerks begeistert.« -- Anita Djafari - Bücherfrauen
Über den Autor und weitere Mitwirkende
Patrícia Melo (*1962 in São Paulo) zählt zu den wichtigsten Stimmen der brasilianischen Gegenwartsliteratur. Nach ihrem Studium in São Paulo arbeitete sie beim Fernsehen. In ihrem sozialkritischen Werk, bestehend aus Kriminalromanen, Hörspielen, Theaterstücken und Drehbüchern, beschäftigt sie sich mit der Gewalt und Kriminalität in Brasiliens Großstädten. Melo wurde u. a. mit dem Deutschen Krimipreis und dem LiBeraturpreis ausgezeichnet, die Times kürte sie zur »führenden Schriftstellerin des Millenniums« in Lateinamerika. Sie lebt in Lugano.

Barbara Mesquita, geboren in Bremen, arbeitet u. a. als Literaturübersetzerin für Portugiesisch und Spanisch mit Schwerpunkt auf den lusofonen Ländern Afrikas. Sie hat Patrícia Melo, Luís Fernando Veríssimo, Pepetela, Luandino Vieira, Arménio Vieira, Ricardo Adolfo, Pedro Rosa Mendes, João Tordo und Juan Manuel de Prada übersetzt. Barbara Mesquita lebt in Hamburg und zeitweilig in Lissabon.

literaturkritik.de/
Frauenmorde und Frauenmörder
Patrícia Melo berichtet in ihrem aufwühlenden Roman „Gestapelte Frauen“ in einer Mischung aus Dokumentation und Fiktion vom alltäglichen Töten in Brasilien
Von Michi StrausfeldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michi Strausfeld

Die Statistik der Frauenmorde zeigt seit Jahren einen unaufhaltsamen Anstieg – in Lateinamerika wie in vielen anderen Regionen der Welt. Mexiko steht im Mittelpunkt der unvorstellbar brutalen Gewalt gegen Frauen. Roberto Bolaño hat in seinem gewichtigen Roman 2666 einhundertacht anonymen Toten aus nur wenigen Jahren eine postume Hommage erwiesen, wollte damit ihre Schicksale vor dem Vergessen bewahren. Sie alle waren im fiktiven Santa Teresa – eigentlich der Grenzstadt Ciudad Juárez – umgekommen. Seitdem hat das Thema in der Literatur Mexikos einen festen Platz: Antonio Ortuño, Fernanda Melchor und viele andere haben sich damit beschäftigt: Politiker, Soziologen, Menschenrechtskommissionen, Selbsthilfeorganisationen, die Kirchen. Offensichtlich gelingt es dem Staat nicht, die systematischen Femizide aufzuklären und diese Hydra zu besiegen.

Aber nicht nur in Mexiko, auch in anderen Ländern Lateinamerikas weisen Autoren und Autorinnen immer energischer auf das Problem hin und verlangen Gerechtigkeit und Schutz. Soeben hat die Brasilianerin Patrícia Melo einen aufwühlenden Roman publiziert, Gestapelte Frauen (2021), der nicht nur eine fiktive Geschichte erzählt, sondern darüber hinaus eine Vielzahl von dokumentierten Morden auflistet. Jedes Kapitel hat einen realen Vorspann – das jeweilige Opfer wurde getötet vom Ehemann, Ex-Freund, Vater, Schwager, aus Willkür oder Eifersucht usw., und alle Altersklassen und Gesellschaftsschichten sind vertreten: „Das wahre Schafott der Frauen ist die Ehe.“

Die Autorin, berühmt für packende Kriminalromane, thematisiert die zahllosen Frauenmorde in Brasilien. Auch hier ist die Statistik erschreckend hoch. Die weiße und nicht arme Protagonistin und Ich-Erzählerin, eine junge Anwältin, soll im Auftrag ihrer Kanzlei nach Cruzeiro do Sul in der entlegenen, an der Grenze zu Bolivien und Peru gelegenen Urwaldprovinz Ac 1fe0 re reisen und dort „im Rahmen einer gemeinsamen Aktion der Justiz zur Abarbeitung aufgestauter Verfahren von Femiziden an Gerichtsproverhandlungen im ganzen Land teilnehmen“. Die Hauptgesellschafterin der Kanzlei möchte Material für ein Buch sammeln, „wie der Staat Mörder produziert, indem er asymmetrische Geschlechterverhältnisse billigt“. Zehntausende ungeklärter Fälle schlummern in den Gerichtsarchiven.

In Acre ist die Mehrzahl der Bevölkerung indigen oder ‚gemischt´ wie der Sohn des Hotelbesitzers, Marcos, der die Anwältin unbedingt in die für sie völlig fremde Welt einführen möchte. Sie findet bald Kontakt zu einer engagierten Staatsanwältin, Carla, später zu einer mutigen Journalistin, Rita. Und sie interviewt gewissenhaft Verteidiger, Richter, Zeugen und alle, die an einem Mord oder seiner Aufklärung bzw. Vertuschung mitwirken. So erfährt sie vom Schicksal der vierzehnjährigen Indigenen Txupira, die von drei jungen Männern aus den besten Familien vergewaltigt, gefoltert und umgebracht wurde.

Während sie an dieser und ein paar anderen Verhandlungen teilnimmt, erklärt ihr der Pflichtverteidiger nach dem Freispruch eines Millionärs und eines Zahnarztes: „Das Einzige, was wir in Brasilien mit der Anwendung des Strafrechts erreichen, ist, Schwarze und Arme länger ins Gefängnis zu bringen.“ Aber sie lernt noch mehr: „Im brasilianischen Kastensystem, an dessen Spitze die Reichen und die Weißen stehen, rangieren die Indigenen noch unter den Schwarzen, die noch unter den Armen kommen und unter den Frauen… unsere Indios sind uns scheißegal.“

Wenig wahrscheinlich ist es also, dass die Mörder von Txupira bestraft werden. Und so verlassen diese bald triumphierend den Gerichtssaal, während die Staatsanwältin und die Anwältin ohnmächtig und wütend zusehen müssen, wie wieder einmal das Unrecht siegt. Sie sammelt die Fälle, die Geschichten dieser toten Frauen in einem Heft, berichtet der Kanzlei. Ihre Freundin und Kollegin erläutert ihr, nachdem sie das Material des Txupira-Prozesses gesichtet hat: „Wo lernen diese Arschlöcher, so was mit uns zu machen? Im Porno-Unterricht, den sie das ganze Leben lang erteilt bekommen…. Pornographie wurde von denselben Kerlen erschaffen, die die Hexen verbrannt haben. Als sie sich nicht mehr mit Hexen und Feuerwerk vergnügen konnten, haben sie eine andere Form erfunden, Frauen umzubringen: Pornographie… eine wahre Fabrik zur Produktion von Frauenmördern.“

In diesen Tagen lernt die Erzählerin auch mehr und mehr über die Bräuche, das Leben, die Mythen der Indigenen, zu denen Marcos ihr Zugang verschafft hat. Mehrfach reist sie ins Dorf der Familie von Txupira und gewinnt nach und nach das Vertrauen einzelner Frauen. Manchmal nimmt sie Ayahuasca und hat dann sehr unterschiedliche Halluzinationen, in denen sie sich auch selbst erkennt, denn sie trägt ein Leiden in sich, über das sie noch immer nicht sprechen kann: als Vierjährige verlor sie ihre Mutter, ermordet vom Vater. Sie lernt – in diesen Wachträumen –die Legenden der kriegerischen Amazonen kennen, die gegen die Unterdrückung durch die Männer kämpfen. Marcos bringt ihr auch die Geschichte von Acre näher: Dutzende von Dörfern wurden von den Kautschukpflanzern ausgelöscht, die Indigenen versklavt oder vertrieben. Heute sorgt die aus Peru oder Bolivien eingeschmuggelte Droge für lukrative Geschäfte: „Diese Geldbarone, nach denen heute die Städte hier heißen, sind allesamt Mörder.“ Auch Carla, die seit vier Jahren in Acre lebt, erläutert ihr: „Die Indigenen sind in unserer Gesellschaft… schlicht und einfach nicht existent. Sie sind ausgerottet worden. Schau dir nur das Ministerium für Soziale Gleichstellung an: Es gibt keinerlei Indigenenpolitik. Sie gehören einfach nicht zu unserer Gesellschaft.“

Als die Anwältin ihre Arbeit beendet hat und zurückfliegen soll, beschließt sie, noch etwas länger zu bleiben. Sie will sich, wie auch Carla und die Journalistin, nicht mit dem Freispruch für die Mörder Txupiras abfinden, denn sie hat noch einen Beweis gefunden… und schon bald überstürzen sich die Ereignisse, die hier nicht erzählt werden sollen.

Patrícia Melo hat einen packenden und exzellent konstruierten Roman über ein aktuelles, brennendes Problem geschrieben, der vermutlich jeden Leser und jede Leserin in einen Strudel von Wut, Fassungslosigkeit, Entsetzen und Grauen reißt. Das darf so nicht weitergehen, Femizide müssen endlich mit aller Härte des Gesetzes bestraft werden – ohne irgendwelche Privilegien und Schlupflöcher für korrupte Täter. In den letzten Jahren haben sich mehr und mehr Schriftstellerinnen zu Wort gemeldet. Sie alle sagen: Es reicht, basta, Schluss, enough is enough!

Und vielleicht sollte man wirklich untersuchen, welche Wirkung Pornographie und die zahllosen Krimis, mit denen wir in Film und Fernsehen überhäuft werden, auf die Gesellschaften haben, welchen Anteil sie tragen an der Verrohung der Sitten, der Abstumpfung oder des Fehlens jeglicher Empathie der Mörder mit ihren Opfern – ich verweise lediglich auf die schauerlichen, sadistischen Praktiken der Narcobosse, die an Dantes tiefsten Höllenschlund erinnern: sie sind Realität.

Ein Buch, dessen Lektüre nicht immer einfach ist, das man eigentlich lieber vergessen möchte – und das ich eindringlich empfehle: Nur wenn die Gesellschaft die zahllosen Femizide nicht länger totschweigt oder tabuisiert, Frauen und Männer gemeinsam und mit aller Kraft die Politik zum Handeln zwingen, damit endlich Abhilfe geschaffen wird und das Recht siegt, kann sich die unerträgliche Situation von Machtmissbrauch, Machismus und systemischer Gewalt ändern. Das brauchen wir dringlich: Sofort!
Bemerkung Katalogisat importiert von: Deutsche Nationalbibliothek
Exemplare
Ex.nr. Standort
18292 DR.E, Mel

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