Dunkelblum : Roman

Menasse, Eva, 2021
3 Sterne
Bücherei Zams
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Medienart Buch
ISBN 978-3-462-04790-5
Verfasser Menasse, Eva Wikipedia
Systematik DR.E - Romane, erzählende Gegenwartsliteratur
Schlagworte Österreich, Erzählende Literatur: Gegenwartsliteratur ab 1945, Erinnerung, Judenverfolgung, Dorf, Massaker, Jahrhundert, Dorfgemeinschaft, Rechnitz, Österreich-Ungarn, Eva Menasse, Schweigen, Wende, Jüdisches Leben, Nazi-Vergangenheit, Dunkelblum, Jüdische Geschichte, Geschichtsschreibung, Würgeengel, Batthyany
Verlag Kiepenheuer & Witsch
Ort Köln
Jahr 2021
Umfang 528 Seiten
Altersbeschränkung keine
Auflage 1. Auflage
Sprache deutsch
Verfasserangabe Eva Menasse
Illustrationsang Stadtplan (s/w) illustriert von Nikolaus Heidelbach, mi
Annotation Angaben aus der Verlagsmeldung



Dunkelblum : Roman Menasse, Dunkelblum / von Eva Menasse


Jeder schweigt von etwas anderem.

Auf den ersten Blick ist Dunkelblum eine Kleinstadt wie jede andere. Doch hinter der Fassade der österreichischen Gemeinde verbirgt sich die Geschichte eines furchtbaren Verbrechens. Ihr Wissen um das Ereignis verbindet die älteren Dunkelblumer seit Jahrzehnten genauso wie ihr Schweigen über Tat und Täter. In den Spätsommertagen des Jahres 1989, während hinter der nahegelegenen Grenze zu Ungarn bereits Hunderte DDR-Flüchtlinge warten, trifft ein rätselhafter Besucher in der Stadt ein. Da geraten die Dinge plötzlich in Bewegung: Auf einer Wiese am Stadtrand wird ein Skelett ausgegraben und eine junge Frau verschwindet. Wie in einem Spuk tauchen Spuren des alten Verbrechens auf und konfrontieren die Dunkelblumer mit einer Vergangenheit, die sie längst für erledigt hielten. In ihrem neuen Roman entwirft Eva Menasse ein großes Geschichtspanorama am Beispiel einer kleinen Stadt, die immer wieder zum Schauplatz der Weltpolitik wird, und erzählt vom Umgang der Bewohner mit einer historischen Schuld. »Dunkelblum« ist ein schaurig-komisches Epos über die Wunden in der Landschaft und den Seelen der Menschen, die, anders als die Erinnerung, nicht vergehen.

»Die ganze Wahrheit wird, wie der Name schon sagt, von allen Beteiligten gemeinsam gewusst. Deshalb kriegt man sie nachher nie mehr richtig zusammen. Denn von jenen, die ein Stück von ihr besessen haben, sind dann immer gleich ein paar schon tot. Oder sie lügen, oder sie haben ein schlechtes Gedächtnis.«


https://tv.orf.at/stories/2109_bestenliste100.html

Die Beste im September 2021: Eva Menasse

Dunkelblum wehrt das Erinnern ab
Eva Menasse entspinnt aus dem Verbrechen von Rechnitz einen Anti-Heimat-Roman.

Zwar wissen wir wenig über das Massaker an jüdischen Zwangsarbeitern, das sich in den letzten Kriegstagen 1945 im burgenländischen Rechnitz ereignet hat, doch erstaunlich viel ist darüber publiziert worden. In den vergangenen 30 Jahren arbeiteten Historiker und Journalisten an der Aufklärung, Dokumentar- und Spielfilme, Romane und Theaterstücke entstanden, darunter das Stück „Rechnitz (Der Würgeengel)“ von Elfriede Jelinek.

Die erwiesenen Fakten sind lückenhaft. Fest steht, dass die Nazis in den letzten Kriegswochen auf ihrem Rückzug vor der Roten Armee Zigtausende jüdische Zwangsarbeiter aus Ungarn nach Westen trieben, Richtung KZ Mauthausen. Am 24. März 1945 traf ein solcher Elendszug in Rechnitz ein. In der Nacht auf 25. März mussten einige am Ortsrand eine Grube ausheben, etwa 180 schwache und kranke Zwangsarbeiter wurden erschossen und hineingeworfen. Andere mussten die Grube zuschütten, ehe auch sie erschossen wurden.

Die Täter gehörten zu Teilnehmern eines Kameradschaftsabends der NSDAP, zu dem Graf und Gräfin Batthyány Angehörige der Gestapo und der SA sowie lokale Parteibonzen in ihr Schloss eingeladen hatten. Ein gutes Dutzend der Gäste, so die Mutmaßung, beging das Massaker und kehrte zum Weiterfeiern ins Schloss zurück. Trotz jahrelanger Suche wurde das Massengrab bis heute nicht gefunden, die Zahl der Opfer ist nicht bekannt, über die Identität der Täter kann nur gemutmaßt werden. Ein Volksgerichtsverfahren in den ersten Nachkriegsjahren erbrachte keine Klärung. Die Täter waren flüchtig oder blieben unbehelligt. Zwei Zeugen wurden während des Verfahrens ermordet. Die Rechnitzer verschwiegen, was sie wussten. Ihre Verstocktheit stigmatisiert den Ort bis heute.

Angelehnt an diese Ereignisse legt Menasse einen Roman vor, der die Auswirkungen dieses Verbrechens nachzeichnet. Mit dem titelgebenden Städtchen Dunkelblum ist erkennbar Rechnitz gemeint.

Zur Gattung des österreichischen Anti-Heimat-Romans, den Eva Menasse offensichtlich angestrebt hat, haben seit den 1960er-Jahren viele wichtige Autoren modellhafte Werke beigetragen – von Hans Lebert, Thomas Bernhard und Christoph Ransmayr bis Norbert Gstrein, Josef Winkler und Elfriede Jelinek. Sie alle folgen einem ähnlichen Erzählmuster, dessen sich auch Eva Menasse in „Dunkelblum“ bedient: Sie beschreiben Nachkriegs-Österreich im Inbild eines Dorfs voller verstockter Einheimischer, die ihre verschwiegenen Verbrechen so lang vertuschen konnten, bis ein Fremder ins Dorf kommt, ihre Untaten aufdeckt und die heimlich verscharrten Toten wieder ausgräbt – buchstäblich und metaphorisch. In der Großmetapher des bösen Dorfs wird auch im Roman „Dunkelblum“ die Geschichtsvergessenheit der Zweiten Republik allegorisiert, die ihre NS-Vergangenheit die längste Zeit ausblendete, bis eine neue Autorengeneration mit diesen Geschichtslügen aufzuräumen begann. Offensichtlich soll sich „Dunkelblum“, wenn auch verspätet, in diese glanzvolle Gattung der österreichischen Nachkriegsliteratur einschreiben. Und Eva Menasse, die sich in ihrem ersten Leben als Journalistin mit einem Reportagenband über den Londoner Prozess gegen den Holocaustleugner David Irving Ansehen erworben hat, scheint dazu prädestiniert zu sein.

Seit ihrem Debütroman „Vienna“ (2005) hat sie sich als unterhaltsame Erzählerin etabliert, die historischen Ernst und politische Schärfe mit einem vergnüglichen sarkastischen Schreibstil camoufliert. Mit genüsslicher Biestigkeit geißelt sie die moralische Schlamperei der Österreicher und deren eigentümliche Mentalität – Fremden- und Judenhass, Neigung zur Selbstmythisierung, gemütliche Herzenskälte.

Auch in „Dunkelblum“ sucht sie der Vergesslichkeit und dickfelligen Niedertracht ihrer Landsleute beizukommen. Sie breitet ein Panorama der Bewohner aus: ein ausdifferenziertes Wimmelbild, das als Modell für Österreich einstehen kann.

Was die älteren Dunkelblumer gemeinsam haben, ist die ungenaue Erinnerung an eine geheim gehaltene und nie gesühnte Schuld aus den letzten Kriegstagen. Die einen hocken als selbstzufriedene Besitzer eines Hotels oder einer Villa im arisierten Eigentum vertriebener Juden. Andere haben auf das Gelände des niedergebrannten Schlosses ihr Autohaus und ihren Drogeriemarkt hingebaut und mit deren banal florierender Existenz den Boden der Geschichte versiegelt. Der Arzt, der in der Praxis seines jüdischen Vorgängers ordiniert, weiß von vergrabenen Toten, zieht es jedoch vor, schweigend in Pension zu gehen. Genau Bescheid weiß der Besitzer des Modehauses, Ober-Nazi und Judenhasser, immer noch mächtiger Strippenzieher und gewiefter Leugner seiner Kriegsverbrechen und der seiner Ex-Kameraden im Ort.

Im Spätsommer 1989, der Gegenwartsebene des Romans, gerät alles in Aufruhr. Nebenan in Ungarn fällt der Eiserne Vorhang. Aus Wien kommen Studenten, um den verwahrlosten jüdischen Friedhof von Dunkelblum instand zu setzen. Auf der Suche nach einem angeblichen Massengrab beginnt ein Fremder, ein Herr Dr. Gellért aus Boston, im Ort herumzufragen. Bei den Außenseitern der Gemeinde, dem jüdischen Greißler, dem schwulen Hobbyhistoriker und den verrückten alten Frauen, beginnt das Verdrängte zu rumoren. Und zum Entsetzen der Mittäter und Mitwisser von einst wird zum Bau eines Wasserspeichers die Wiese am Ortsrand aufgegraben, wobei prompt ein Skelett zum Vorschein kommt.

Dabei belässt es Menasse auch schon. So detailfreudig ihre Fantasie beim Ausmalen des fiktiven Biotops von Dunkelblum arbeitet und so sehr die Autorin in einem scheingemütlichen Erzählton voller Austriazismen schwelgt, um die bodenständige Gemeinheit ihrer Figuren zu illustrieren, so strikt versagt si c57 e es sich, die Mordnacht zu imaginieren. Das Massaker bleibt die verschwiegene Leerstelle im Zentrum des Romans. Menasse belässt es bei Andeutungen. Der Roman weiß nicht mehr, als wir alle über das reale Rechnitz wissen können. Nur die Gräfin Dunkelblum lässt sich beim Interview in ihrem Luxusexil in Lugano ein paar Hinweise auf schattenhafte Täter entlocken.

Der Rest ist Schweigen. Das ehrt das literarische Feingefühl der Autorin. Dennoch fühlt man sich vage düpiert. „Das ist nicht das Ende der Geschichte“, lautet der letzte schale Satz des Romans.

Text: Sigrid Löffler, Salzburger Nachrichten
Bemerkung Katalogisat importiert von: Deutsche Nationalbibliothek
Exemplare
Ex.nr. Standort
18097 DR.E, Men

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