Das Land der Anderen : Roman

Slimani, Leïla, 2021
2.5 Sterne
Bücherei Zams
Verfügbar Ja (1) Titel ist in dieser Bibliothek verfügbar
Exemplare gesamt 1
Exemplare verliehen 0
Reservierungen 0Reservieren
Medienart Buch
ISBN 978-3-630-87646-7
Verfasser Slimani, Leïla Wikipedia
Beteiligte Personen Thoma, Amelie [Übers.] Wikipedia
Systematik DR.B - Biographische Romane, romanhafte Biographien
Schlagworte Frankreich, Familiengeschichte, Familiensaga, Frauen, Marokko, Erzählende Literatur, Ehe, Unabhängigkeit, Fremdsein, Nr. 1 Bestseller Frankreich, Meknès
Verlag Luchterhand
Ort München
Jahr 2021
Umfang 384 Seiten
Altersbeschränkung keine
Auflage Deutsche Erstausgabe
Reihe Das Land der Anderen / Leila Slimani
Reihenvermerk Band 1
Sprache deutsch
Verfasserangabe Leïla Slimani
Annotation Angaben aus der Verlagsmeldung



Das Land der Anderen : Roman Le Pays Des Autres / von Leila Slimani


Mathilde, eine junge Elsässerin, verliebt sich am Ende des Zweiten Weltkriegs in Amine Belhaj, einen marokkanischen Offizier im Dienst der französischen Armee. Die beiden heiraten und lassen sich in der Nähe von Meknès nieder, am Fuß des Atlas-Gebirges, auf einem abgelegenen Hof, den Amine von seinem Vater geerbt hat. Während er versucht, dem steinigen Boden einen kargen Ertrag abzutrotzen, zieht Mathilde die beiden Kinder groß. Voller Freiheitsdrang hatte sie den Aufbruch in ein neues, unbekanntes Leben gewagt und muss doch bald ernüchternde Erfahrungen machen: den alltäglichen Rassismus der französischen Kolonialgesellschaft, in der eine Ehe zwischen einem Araber und einer Französin nicht vorgesehen ist, die patriarchalischen Traditionen der Einheimischen, das Unverständnis des eigenen Mannes. Aber Mathilde gibt nicht auf. Sie kämpft um Anerkennung und ihr Leben im Land der Anderen.

Quelle: Literaturreich, 31. Juli 2021, Petra Reich

Seitdem Leïla Slimani 2016 für ihren Roman Dann schlaf auch du mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde, gilt die 1981 in Rabat/Marokko geborene Autorin als eine der renommiertesten und einflussreichsten Autor:innen Frankreichs. Psychologisch genau, offen, nüchtern und eher knapp war auch bereits ihr erster Roman All das zu verlieren, der auf Deutsch erst 2019 veröffentlicht wurde. Nun erscheint von Leïla Slimani ein etwas anderes, auf drei Teile angelegtes Romanprojekt, das episch breiter eine Familiengeschichte zwischen Frankreich und Marokko erzählt, die sehr derjenigen der Autorin ähnelt – Das Land der Anderen ist der erste Band.

1944 lernt die junge Elsässerin Mathilde den für Frankreich kämpfenden Marokkaner Amine Belhaj kennen und verliebt sich in den gutaussehenden Soldaten. Dieser ist von der großen, blonden, unabhängigen Frau bezaubert, sie heiraten. Nach dem Krieg ziehen sie von Mühlhausen in die Nähe der Stadt Meknès am Fuße des Mittleren Atlasgebirges. Hier hat Amine ein Stück Land und ein einfaches Haus geerbt. Hier will er ein erfolgreicher Landwirt werden und versucht sein Glück mit dem Olivenanbau.

EIN ABENTEUER
Für Mathilde war die Hochzeit ein Abenteuer, ein Ausbruch aus ihrer bürgerlichen Welt, in der sie sich langweilte. In Marokko aber holt sie schnell die Wirklichkeit ein. Ihr Zuhause liegt zu weit draußen, als dass sie regelmäßig am gesellschaftlichen Leben der Stadt teilnehmen könnten. Außerdem gehört Mathilde weder ganz zur französischen Gemeinde, die in der „ville nouvelle“ ein noch weitgehend koloniales, separiertes Leben führen, noch zur marokkanischen Bevölkerung, die die Europäerin misstrauisch beäugt. Auch kehrt Amine zu den patriarchalen Gepflogenheiten seiner Heimat zurück. Hat Mathilde noch eine gewisse Freiheit, unterdrückt er seine Schwester Selma gnadenlos. Als ihr Verhältnis mit einem jungen Franzosen bekannt wird – Mathilde ist daran nicht ganz unschuldig -, verheiratet er sie mit seinem viel älteren Regimentskameraden Mourad.

Mathilde, für die die Großmutter der Autorin Modell stand, fühlt sich einsam und als Außenseiterin, passt sich aber weitgehend an. Ein längerer Frankreichaufenthalt nach dem Tod ihres Vaters bietet ihr die Gelegenheit zum Ausbruch, die Liebe zu ihren beiden Kindern Aïcha und Selim lässt sie aber zurückkehren. Die kleine Aïcha wird im nächsten Band heranwachsen und ist der Mutter Slimanis nachgebildet.

PATRIARCHALES SYSTEM
Die Unterdrückung der Frau in den alten patriarchalen Systemen Marokkos ist eines der Themen, die Leïla Slimani in Das Land der Anderen anspricht. Mathilde wird ihre Aufgabe in einer Krankenstation finden, wo sie die einfachen Leute medizinisch versorgt, soweit sie das vermag. Aber sie leidet.

„Sie hatte sich nicht vorstellen können, was Emigration wirklich hieß.“

Auch ein Freund der Familie, der ungarische Jude Dragan, den die Verfolgung nach Marokko verpflanzt hat, weiß davon ein Lied zu singen.

Aber nicht nur den Frauen im Land fehlt die Selbstbestimmung. Ein ganzes Volk lebt unterdrückt von seinen Kolonisatoren, auch wenn Marokko offiziell nur ein “Protektorat” Frankreichs ist. Zu Beginn der 1950er Jahre beginnt sich dagegen Widerstand zu regen. Amines Bruder Omar ist in der Rebellenorganisation aktiv. 1956 wird Marokko unabhängig.

Die Familie und besonders die Kinder Aïcha und Selim stehen zwischen den Fronten. Sie fühlen sich ein wenig wie der „Zitrangenbaum“ im Garten

„‚Wir‘, sagte er, ‚sind wie dein Baum, halb Zitrone, halb Orange. Wir gehören zu keiner Seite.‘ (…) Während er leise auf den Flur trat und die Tür schloss, dachte er, dass die Früchte des Zitrangenbaums ungenießbar waren.“

Es geht Leïla Slimani also auch um Identität in Das Land der Anderen. Sie entfaltet ihre Themen in einem historischen Tableau, das aber niemals üppig oder ausufernd wird. Sie erzählt fast nüchtern und leicht distanziert, eher konventionell, dabei aber atmosphärisch, lebendig und mitreißend. Durch die verschiedenen Perspektivwechsel wird die Spaltung und Zerrissenheit der Protagonisten besonders deutlich. Man darf auf die Fortsetzungen gespannt sein.

Rezension: Belletristik-Couch.de
Andere Länder – andere Sitten
Buch-Rezension von Monika Wenger Aug 2021

Die junge Elsässerin Mathilde verliebt sich im Zweiten Weltkrieg in den in französischen Diensten stehenden Marokkaner Amine Belhaj. Sie heiraten in Mathildes Heimatdorf Mühlhausen, reisen aber schon bald in Amines Heimatdorf Meknès in Marokko. Schneller als gedacht muss Mathilde der Tatsache ins Auge sehen, dass sie sich strikten moralischen Vorgaben und gesellschaftlichen Zwängen beugen muss ...

Eine Welt voller Grenzen
Amine hat von seinem Vater eine kleine Landwirtschaft geerbt. Als Ältester ist er für die Familie verantwortlich. Doch die Mühen, dem kargen Land einen Ertrag abzutrotzen, sind endlos und bleiben ohne Erfolg. Zurück in seiner Heimat, nimmt Mathildes Ehemann sein Leben als Patriarch wieder wahr. Vergessen sind die Abende am Rhein mit interessanten Gesprächen und Diskussionen, wie weggepustet der Charme dieses schönen Marokkaners.

«Wie hätte sie zugeben können, dass der Mann, den sie im Krieg kennengelernt hatte, nicht mehr derselbe war? Unter der Last der Sorgen und Erniedrigungen hatte Amine sich verändert und verdüstert.»

Mathilde lernt, dass der Stellenwert der Frau in der marokkanischen Gesellschaft gleich Null ist. Die Frauen leben in einer Welt voller unüberwindbaren Grenzen.

« ‘So ist das hier.’ Diesen Satz würde sie noch oft hören. Und genau in dem Moment begriff sie, dass sie eine Fremde war, eine Frau, eine Ehefrau, ein Mensch, der der Gnade der anderen ausgeliefert war. Amine war jetzt auf seinem Territorium, er war es, der hier die Regeln erklärte, der sagte, wo es langging, der die Grenzen des Anstands, der Scham und der guten Sitten zog. »

Frust und Gewalt
Der Frust, als Einheimischer nicht zu genügen, nichts auf die Reihe zu bringen, zu scheitern, mündet für Amine in Gewaltausbrüchen gegen seine Frau. Gewalt herrscht in den 50er Jahren auch in Marokkos Städten: Das Ringen um Unabhängigkeit fordert seinen Tribut; Bombenanschläge und Morde auf offener Straße sind an der Tagesordnung. Landbesitzer werden getötet, Felder in Brand gesetzt – alles dient als Ventil für politische oder persönliche Vergeltung; Angst h 1049 errscht überall.

Als Mathildes Vater stirbt, reist sie nach vielen Jahren wieder in ihre Heimat. Dort kann sie sich von ihrem harten Arbeitsalltag in Marokko erholen, kann sich frei bewegen und sich unbeschwert als Frau fühlen. Der Kontrast zu ihrem Leben in Marokko könnte größer nicht sein, und Mathilde beginnt, über ihren Verbleib im Elsass nachzudenken und eine Rückkehr nach Marokko mehr und mehr auszuschließen.

« [.. ]dachte sie, dass es der Zweifel war, der einem zum Verhängnis wurde, dass eine Wahl zu haben Leid verursachte und die Seele zerfraß.»

Leïla Slimani nimmt das Leben ihrer Großmutter, einer Elsässerin, als Romanvorlage. Ihre Erzählungen bilden die Grundlage für diese beeindruckende Geschichte. Der Autorin gelingt eine fesselnde und bildhafte Darstellung eines Marokkos im Umbruch. Sie beschreibt eindrücklich die harte Arbeit auf kargen Böden, das steinige und staubige Land, dem nur unter größten Mühen der kleinstmögliche Ertrag abgerungen werden kann. Sie berichtet von der großen blonden Elsässerin, die mit viel jugendlichem Enthusiasmus in ein Land mit komplett anderen Moralvorstellungen und viel Traditionalismus reist, um dort zu leben - eine Frau, die kämpft, hart arbeitet und niemals aufgibt.

Leïla Slimani gelingt es, die Liebes- und Lebensgeschichte von Mathilde vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse in Marokko während der Ablösung von Frankreich auf dem Weg zur konstitutionellen Monarchie spannend zu erzählen, und sie zeigt immer wieder die Grenzen und Unterschiede zwischen der arabischen und europäischen Mentalität auf.

Fazit
Ein ergreifender und ausdrucksstarker Roman über eine Zeit der politischen Veränderung in Marokko und die Rolle der Frau in einer von strengen Moralvorstellungen und Traditionen geprägten, patriarchalischen Gesellschaft. Eindrücklich, nachhaltig und bildhaft erzählt, bleibt diese Lektüre noch eine Weile präsent.
Bemerkung Katalogisat importiert von: Deutsche Nationalbibliothek
Exemplare
Ex.nr. Standort
17796 DR.B, Sli

Leserbewertungen

Eine Bewertung zu diesem Titel abgeben
  • 2 Sterne 2.5
    Bewertung abgegeben von Leser 242 am 17.01.2022
    vom Nachkriegsfrankreich in ein muslimisches Wüstenland, wahrlich kein leichter Weg für eine Frau, aber sie hatte Erfindungsgeist, Humor und Liebe
  • 3 Sterne
    Bewertung abgegeben von Leser 233 am 24.07.2021
  • 3 Sterne Slimanis Familiengeschichte zwischen Frankreich und Marokko, brillant erzählt.
    Bewertung abgegeben von Leser 41 am 28.06.2021