Jesolo : Roman

Raich, Tanja, 2019
Bücherei Zams
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Medienart Buch
ISBN 978-3-89667-644-3
Verfasser Raich, Tanja Wikipedia
Systematik DR.E - Romane, erzählende Gegenwartsliteratur
Schlagworte Schwangerschaft, Fiktionale Darstellung, Erzählende Literatur, Selbstbestimmung, Feminismus, Regretting Motherhood, Dominanzverhältnisse, gesellschaftliche Zwänge, Berufung Mutter, Die Mutterglück-Lüge, Orna Donath, Die potente Frau
Verlag Blessing
Ort München
Jahr 2019
Umfang 221 Seiten
Altersbeschränkung keine
Auflage 1. Auflage
Sprache deutsch
Annotation Angaben aus der Verlagsmeldung



Jesolo : Roman / von Tanja Raich


Kinder sind kein Thema für Andrea. Sie hat einen Job, der okay ist. Sie führt seit vielen Jahren eine Beziehung mit Georg, die okay ist. Jedes Jahr verbringen sie einen netten Urlaub in Jesolo. Was die Zukunft betrifft will Andi sich nicht festlegen, aber Georg will ein Fundament für ein gemeinsames Leben.


Doch als sie aus dem gemeinsamen Urlaub zurückkommen, ändert sich alles - Andrea ist schwanger. Hin- und hergerissen zwischen dem Festhalten an einer stabilen Beziehung und ihren eigenen Vorstellungen von einem unabhängigen, kreativen Leben entscheidet sie sich für das Kind - und geht damit schließlich einen Kompromiss nach dem anderen ein: Sie nimmt einen Kredit auf, obwohl sie nie einen Kredit aufnehmen wollte; sie zieht ins Haus ihrer Schwiegereltern, obwohl sie nie mit ihnen unter einem Dach leben wollte. Von allen Seiten prasseln Ratschläge auf Andrea nieder, und sie wird in eine Mutterrolle gedrängt, mit der sie sich nicht identifizieren kann. Je weiter die Schwangerschaft voranschreitet, desto mehr verändert sich Andrea.


Ein bewegender Roman über zehn Monate im Leben einer jungen Frau, der nicht nur Beziehung, Schwangerschaft und Familie in ihrer ganzen Ambivalenz zeigt, sondern auch wie schwierig es ist, wie unmöglich fast, sich angesichts gesellschaftlicher Rollenzuschreibungen als Individuum zu behaupten.


Quelle: LHW.Lesen.Hören.Wissen, Karin Marini
Andrea und Georg sind ein Paar, seit sie 16 Jahre alt sind. Jetzt sind sie 35, haben beide eine tolle Arbeit und fahren jedes Jahr zum Urlaub nach Jesolo. Andrea ist zufrieden mit dem Stand der Dinge. Sie hat eine Wohnung in der Stadt und verbringt die Hälfte der Woche in ihrer Wohnung und die andere Hälfte in der Wohnung ihres Freundes Georg. Mit Familie, Kinder kriegen und heiraten hat Andrea nichts am Hut. Georg hingegen drängt Andrea endlich zusammenzuziehen und eine Familie zu gründen. Auch die Eltern von Georg warten sehnsüchtig auf Enkelkinder. Nach einem heftigen Streit und einer Trennung auf Zeit merkt Andrea, dass sie schwanger ist. Die beiden kommen wieder zusammen und Georg ist überglücklich, dass er Vater wird. Er beginnt ihre Zukunft zu planen: die Wohnung im Haus seiner Eltern wird umgebaut und vergrößert, Andrea zieht zu Georg, die Schwiegermutter sucht die Möbel aus, Andrea kündigt ihre Arbeit. Über dem Kopf von Andrea braut sich ein Leben zusammen, das sie so nie leben wollte, aber aus dem sie nicht mehr herauskommt, ohne ihr ganzes Umfeld zu enttäuschen und zu verletzen.

Der Anfang des Romans hat mir sehr gut gefallen. Die Autorin beschreibt sehr gut die langjährige Beziehung der beiden, die Missverständnisse in der Kommunikation, die unterschiedlichen Wünsche und Bedürfnisse, die die Beziehung zunehmend komplizierter machen. Mit dem Fortschreiten des Romans konnte ich die Ansichten, Gedanken und das Verhalten von Andrea leider nicht immer nachvollziehen.

Trotzdem, auf 221 Seiten wird das Selbstverständnis der Mutterrolle hinterfragt und das tut gut. Für alle!


Literaturhaus Wien:

Wenn Romanen ein (literarisches) Motto vorangestellt ist, so geschieht das zumeist nicht ohne Grund und kann durchaus in aller Kürze einen tonangebenden Effekt haben. So beginnt Tanja Raichs Debutroman "Jesolo" mit den minimalistischen Zeilen "oltre l'orizzonte / un altro mare / e ancora un mare / ci sarà" des italienischen Liedermachers Gianmaria Testa (1958-2016), dessen Lieder von Melancholie geprägt sind und um Themen wie Einsamkeit, Sehnsucht, verlorene und wiedergefundene Liebe kreisen. Sicherlich lässt eine Ausgangssituation wie jene, dass jenseits des Horizonts ein anderes Meer und (aber) immer noch ein Meer da sein wird, eine Vielzahl an Gestaltungs- und Interpretationsmöglichkeiten offen, aber zumindest formiert sich die Erwartung einer Geschichte, in der es um den Aufbruch zu neuen Ufern geht: Liegt hinter dem "anderen" Meer noch ein Meer, bleibt jeder Schritt ungewiss und doch eine immergleiche Wiederholung, gegen die man sich nicht aufbäumen kann?

LeserInnen folgen dementsprechend auch wirklich einer "Reise" ins Ungewisse, indem sie die Schwangerschaftsmonate der Protagonistin Andrea mitsamt allen damit einhergehenden Veränderungen miterleben. Seinen Ursprung nimmt der Plot auf einer tatsächlichen Reise ins titelgebende Jesolo, dessen Sonnenschirmreihen bunt-flirrend auf dem Buchcover eingefangen sind – ein gelungenes Vexierspiel. Unter der Bonbonfassade dieses alljährlichen Jesolo-Urlaubs brodelt es – Andrea und Georg, beide Mitte 30 und mitten im Berufsleben stehend, sind seit Schulzeiten ein Paar, doch während Georg Nägel mit Köpfen machen will, sieht Andrea immer mehr Gegensätze in Bezug auf ihre Lebensentwürfe, und eingeengt von Routine und gesellschaftlichen Zwängen kommen ihr Zweifel: "Du liegst auf dem Rücken, ich auf dem Bauch." (16) Gleichzeitig wird man Zeuge von Szenen eines "normalen" Beziehungsalltags zwischen Glücksgefühl, Liebe und Wut. In dieser ambivalenten Situation wird Andrea schwanger und begibt sich auf eine Achterbahn von Gefühlen wie Wut, Zweifel und Resignation: "Mein Leben liegt in Trümmern." (65) Schleichend gewinnt bei allem Widerstand, ehrlichen Reflexionen und bösen Beobachtungen das Sollen überhand, worüber auch die Euphorie eines Neustarts nach einem kurzen Trennungsintermezzo nicht hinwegtäuschen kann. Mit jedem Kompromiss wie dem Einzug in Georgs Elternhaus, mit jedem Einlenken wie der Erhöhung des Sanierungskredits nimmt die Fremdbestimmung zu und man wähnt sich als ein Schirmchen in Jesolo: "Wir fügen uns ein. Wir fallen nicht auf. Wir haben: 1 Haus, 2 Autos, 1 Kind." (125)

Die in Meran geborene und in Wien lebende Autorin fängt dieses Sich-Einfügen in Konventionen, das den Roman wie ein roter Faden durchzieht, in einem knappen, klaren, nüchtern-ernüchternden, resignativen Ton ein, beleuchtet es aber auch differenziert, sodass sich beim Lesen sowohl Verständnis für die Protagonistin in ihrem Streben nach Selbstbestimmung als auch ein leiser Widerstand gegen ihre Rebellion einstellen: Ist Andreas "Leid" nicht nur Jammern auf hohem Niveau? Entsprechend offen bleibt das abschließende Kapitel, das die Tage bis zur Geburt hinunterzählt und sich in einer surrealistischen Traumszene – von Wasser geflutet – auflöst. Das Ende "Es sieht genauso aus, wie ich es mir vorgestellt habe." (221) lässt die Frage ungeklärt, worauf dieses "Es" referenziert – ist es gar das Meer jenseits des Horizonts?

Die Rückseite des Covers kündigt an, das "Glücksversprechen" Familie und Mutterschaft zu sezieren – das ist sicherlich gelungen, nicht zuletzt im Vergleich mit Schwangerschaftsromanen wie Ildikó von Kürthys "Unter meinem Herzen". Dennoch handelt es sich um kein radikales Manifest im Stil von Verena Brunschweigers "Kinderfrei statt Kinderlos". Ob hier ein feministischer Roman wie etwa Sheila Hetis "Motherhood" vorliegt, bleibt letztlich den LeserInnen selbst überlassen; die Fragen der Rollenverteilung, die aufgeworfen werden, haben jedenfalls gesellschaftlichen Mehrwert: Ist Mutterschaft Bestimmung? "Darf" man Frau sein, ohne Mutter werden zu wollen?

Miriam Houska
15.05.2019

Rezension: Belletristik-Couch.de
Eine Frau, die kein Kind möchte, aber dann doch in diese Rolle gezwängt wird
Buch-Rezension von Sandra Dickhaus Jul 2021

Ein Roman, der mitten ins Herz trifft und Wahrheiten ausspricht, die viele Frauen tief in sich tragen, da genau diese Denkweise nicht den Normen entspricht . 1877 ..

Andrea ist eine Frau in den Dreißigern, die in einer festen Beziehung mit Georg steckt. Gerade ist dort etwas Flaute und Alltag eingekehrt. Das Paar ist sich auch nicht sicher, wie es in der Zukunft aussehen soll, denn Georg möchte das volle Programm: Zusammenziehen, Heirat, Kinder, Happy Family. Andrea kann sich damit nicht anfreunden, sie bevorzugt ihre Begeisterung im Job, die Freiheit zweier getrennter Wohnungen und die Kinderlosigkeit. Doch dann passiert es: Nach einem gemeinsamen Sommerurlaub in Jesolo stellt Andrea fest, dass sie schwanger ist. Georg freut sich, schmiedet Pläne, richtet sich gedanklich schon im Haus seiner Eltern zusammen ein. Andrea aber hat so ihre Schwierigkeiten, denn es gelingt ihr nicht, sich mit der Mutterrolle und den damit verbunden traditionell erwarteten, freudigen Gefühlen zu identifizieren. Sie willigt ein, bei ihren Schwiegereltern einzuziehen und das volle Problem abzuspulen. Wohl fühlt sie sich damit überhaupt nicht.

Ehrlich, ungeschönt und voller klarer Worte
Ehrlich und völlig ungeschönt erzählt die Autorin von einer Frau, die nicht sofort in ihre scheinbar in die Wiege gelegte Mutterrolle schlüpfen kann, die auch noch arbeiten möchte, wenn sie ein Kind hat und sich einsam fühlt, wenn sie allein mit ihrem Baby ist. Deutlich wird, dass sich nicht jede Frau in die Rolle einer Hausfrau und Mutter drängen lassen will. Andreas Schwiegermutter verkörpert die Generation, in der es um das Wohlergehen des Mannes und der Kinder geht, denen man alles nachträgt, die man bedient, die man selbstlos versorgt und sich als eigene Person dabei vergisst. Andrea kann das nicht; sie möchte auch noch ihr eigenes Leben leben. Georg kann sie dabei ganz vergessen. Er erzählt allen ganz stolz „Wir sind schwanger“ und spricht schon vom nächsten Kind. Andreas Bedenken, Sorgen und Ängste kann er überhaupt nicht nachvollziehen. Auch im Job bemerkt Andrea die Problematik, dass ihr ihre Stelle nicht freigehalten werden kann, wenn sie in Elternzeit geht. Dabei liebt sie ihre Position doch so. Zwischendurch hat man das Gefühl, Andrea hat mit ihrem Leben abgeschlossen, fügt sich dem Unvermeidlichen - doch sie lässt sich nicht brechen.

Gefühle, die nichts mit der Liebe zum Kind gemein haben, sondern mit einem Aufbegehren gegen gesellschaftlich festgesetzte Bilder
Ihre Gefühle haben rein gar nichts mit der Liebe zu ihrem Kind zu tun, sondern nur mit der Rolle, in die man als Frau hereingedrängt wird, ohne gefragt zu werden. Zwei Generationen kommen zu Wort, aber ob zwischen dem Leben und der Einstellung der Menschen in der Stadt und auf dem Land so ein großer Unterschied besteht, sei dahingestellt. Eindringlich vermittelt die Autorin, dass die Ratschläge, die auf eine schwangere Frau oder frischgebackene Mutter einschlagen, völlig widersprüchlich sind: Jeder weiß, was das Beste ist, urteilt, verurteilt und teilt ungefragt (Halb-)Wissen. Dass Andrea irgendwann ausbrechen möchte, ist doch klar! Georg ist sturköpfig, wünscht sich ein Leben wie das seiner Eltern, traditionell mit dem Heimchen am Herd. Er denkt, er könne seine Frau dazu überreden und es werde sich auch irgendwann gut für sie anfühlen.

Sichtweise der weiblichen Hauptfigur
Die Geschichte wird aus der Sicht Andreas erzählt. Sie spricht ihren Freund Georg immer direkt an, als würden sie sich gegenüberstehen. Doch all diese ehrlichen, unschönen Gedanken kann sie niemals so mit ihm teilen. Auch arbeitet sie ihr Verhältnis zu ihren Eltern auf, mit denen sie keinen Kontakt hat, und die Erinnerungen an ihre Mutter machen ihr zusehends zu schaffen. Andreas Erlebnisse werden nicht in chronologischer Reihenfolge erzählt, mal gibt es Rückblenden, mal Flash Forwards. Das erfordert ein gewisses Maß an Konzentration beim Lesen. Ansonsten ist dies eine kurzweilige und eindringliche Geschichte.

Fazit
Eine starke Frau, die mit sich selbst, den gesellschaftlichen Ansprüchen und einer ungeplanten Schwangerschaft kämpfen muss. Löblich ist, dass sie das Kind trotz aller Zweifel bekommt und ungeschönt alle Situationen erzählt.
Bemerkung Katalogisat importiert von: Deutsche Nationalbibliothek
Exemplare
Ex.nr. Standort
14317 DR.E, Rai

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